„Ach bleib mit deinem Segen bei uns, du reicher Herr!“ (aus dem neuap.
Chorliederbuch I, Nr. 3)
Dieses Lied sang der gemischte Chor gleich zu Beginn des Gottesdienstes und formulierte so eine Bitte, die wohl jedem gläubigen Christen an der Schwelle zu einem neuen Jahr am Herzen liegt. Vorher hatte eine Instrumentalgruppe für die musikalische Einstimmung der Kirchenbesucher aus den „Tübinger“ Gemeinden gesorgt, die am Gottesdienst in der im Bauhausstil errichteten neuapostolischen Kirche in der alten Universitätsstadt teilnahmen. Die Mitglieder der Gäugemeinden erlebten den Gottesdienst per Live-Übertragung in der Kirche in Herrenberg.
„Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.“ (Offb 3,8)
Zum Jahresabschluss bestimmte dieser Text aus dem Neuen Testament die Gottesdienste in der Gebietskirche Süddeutschland. Er galt seinerzeit der Gemeinde in Philadelphia. Diejenige von den sieben, an die die Sendschreiben in der Offenbarung des Johannes gerichtet sind, der ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde, denn in ihr war „brüderliche Liebe“ zu finden. M. Ehrich betonte dieses besonderes Gemeindemerkmal, indem er darauf hinwies, dass es keine Formsache sein solle, Glaubensbruder und -schwester in den Mittelpunkt zu stellen. Dann sei eine gute Verbindung untereinander in einer Kirchengemeinde gewährleistet.
„Ich kenne deine Werke…“ Welche Werke? Wenn man zurückblickt, stellt man fest, es ist nicht alles gelungen. Aber, wenn etwas aus Liebe zu Gott und den Menschen getan worden ist, dann lässt Gott seine Gnade über dem weniger Schönen walten und gibt zum Guten seinen Segen hinzu. Was aus Gottes- und Nächstenliebe geschieht, kann nicht falsch sein.
„Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen;“
Eine Tür verbindet. Man kann durch sie hindurch einen anderen Raum betreten. Gottesdienste öffnen uns den Blick und den Weg aus dem Irdischen hin zum Ewigen. Sie sind Trost und Hilfe, eine offene Tür, die niemand zusperren kann. Das gilt auch und gerade für den Gottesdienst in der Woche. Oft erfordert es Anstrengungen, um sich den Freiraum von den Anforderungen des Alltags nehmen zu können. Aber man wird reichlich dafür belohnt: In der Gemeinschaft mit Bruder und Schwester den Blick auf das Unvergängliche richten zu können.
„denn du hast eine kleine Kraft“ M. Ehrich erinnerte an Paulus` Brief an die Korinther, in dem es heißt, dass mit Gottes Hilfe aus einer kleinen Kraft eine große werden kann. Sich darauf besinnen, das zu tun, was man erbringen kann – und mit Gottes Hilfe kann etwas Großes daraus werden.
„und hast mein Wort bewahrt“ Dazu gehört, in den Gottesdienst zu gehen, das Verlangen zu haben, sein Wort zu hören. In dem Zusammenhang verwies der Bezirksapostel auf das Gleichnis vom Sämann (Evangelium des Lukas`), der seinen Samen auf viererlei Boden streute: Auf dem Weg fraßen die Vögel die Saat, auf Fels musste sie verdorren, auf dornigem Grund wurde sie vom Unkraut erstickt, aber auf fruchtbarem Boden brachte sie reiche Ernte. Der Samen ist das Wort Gottes. „Auf dem Weg“ wird es nicht gehört, der Böse verleitet dazu, nicht daran zu glauben. „Auf Fels“ können keine Wurzeln geschlagen werden, bei der geringsten Anfechtung geht die Verbindung zum Grund, dem Glauben, verloren. „Dornen“ sind sowohl die Sorgen als auch die Freuden im Leben. Beide können, lässt man sie übermächtig werden, das Wort Gottes „ersticken“. Man nimmt es nicht mehr wirklich wahr.
„und hast meinen Namen nicht verleugnet“ Der Bezirksapostel erinnerte an den Jünger und späteren Apostel Petrus. Trotz aller vorherigen Treuebekundungen passierte es ihm, dreimal seinen Herrn, Jesus, zu verleugnen, als es für dessen Nachfolger „eng“ wurde, man ihnen nach dem Leben trachtete. Aber wir wissen, dass Petrus später den Märtyrertod gestorben ist. „Jeder Mensch kann schwach werden. Aber es wäre falsch, sich damit zu arrangieren und nicht immer wieder den guten Kampf des Glaubens aufzunehmen.“
„Lasst uns ins neue Jahr treten, die offene Tür nutzen. Es geht darum, sich auf die Wiederkunft Christi auszurichten. Wer sich zu Gott bekennt, wird die Gnade bekommen, die er verdient und wird vom Glauben zum Schauen kommen.“
„Ein schöner Schluss ziert alles“ mit diesem Sprichwort wertete und würdigte Bischof Georg Kaltschmitt in seinem Beitrag den besonderen Jahresabschlussgottesdienst für den Bezirk Tübingen, der den etwa 100 Gottesdiensten im Lauf eines Jahres einen besonderen Glanz gegeben hat. „Ein tröstliches Wort zum Jahresabschluss, geprägt von positivem Sehen und Mitfühlen. Gott sieht, wenn wir unglücklich sind über uns selbst. Und trotzdem bleibt uns eine offene Tür zu ihm. Eine verschlossene ruft Ärger, Trauer, Enttäuschung hervor. Gott gibt eine offene Tür, die keine andere Macht zuschlagen kann und uns ein neues Leben eröffnet. Er weiß, dass die Menschen unterschiedlich begabt sind. Er schaut auf das, was wir haben und können und was wir damit tun. Durch Mitarbeit bekennen wir uns zu seinem Werk und er legt seinen Segen darauf. Das ist ein wunderbarer Ausblick auf das neue Jahr.“
Bezirksvorsteher Klaus von Bank bekam die - seltene - Gelegenheit, zu allen Glaubensgeschwistern „seines Tübingen“ gleichzeitig zu sprechen. „Tröstlich, zu wissen, dass das, was wir nicht recht getan haben, von Gottes Gnade gedeckt wird und dass sein Segen auf allem liegt, was wir recht getan haben. Was in alter Zeit gegolten hat – siehe das Gleichnis vom Acker – das gilt auch noch 2000 Jahre später. Gott gibt eine ganz besondere Kraft. Denken wir an David, der auf der Verliererseite stand. Seine Kraft lag darin, dass er im Namen des Herrn kam. Diese Gedanken aus alten Zeiten sind aktuell, bis wir unser Glaubensziel erreicht haben.“
Und noch einmal, den bevorstehenden Jahreswechsel ansprechend, ging M. Ehrich auf das Thema „Zeit“ ein: „Wir danken Gott, dass er uns die Zeit gegeben hat. Auch die jeweilige Lebenszeit schenkt er uns. Deren Maß bestimmt er. Unsere Aufgabe ist es, sie zu nutzen.“ Vor der Feier des heiligen Abendmahls zitierte der Bezirksapostel aus der Offenbarung des Johannes (3, 11): „Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!“
„Dazu gibt Gott uns Gnade im heiligen Abendmahl, das letzte Mal in diesem Jahr. Lasst es uns so feiern, als ob es das letzte überhaupt wäre.“
Nach dem Gottesdienst wünschte der Bezirksapostel einen friedvollen Abschluss des alten und einen guten Beginn des neuen Jahrs. Vorsätze dafür fassen – eher nicht. Vielmehr die Entscheidung treffen, dem Herrn treu zu bleiben. „Herr mein Gott, ich trau auf dich“, (Neuap. Chorliederbuch I, Nr. 58) war die musikalische Replik des gemischten Chors.
Dass dieses Vertrauen seit Jahrtausenden begründet ist, erschloss sich den Gottesdienstbesuchern, die aus westlicher Richtung nach Tübingen gekommen waren, in ganz besonderer Weise: Auf der Rückfahrt verschönte ein wunderbarer Regenbogen genau über dem Schönbuch den grauen Winterhimmel.