"Lass den Einzelnen erleben, dass in diesem Kreis Freude ist."
So etwa 45 Senioren waren zum "üblichen Kaffeenachmittag" in die Herrenberger Kirche gekommen. Draußen strahlende Sonne, drinnen österlich dekorierte lange Tafeln. Pünktlich um 14.30 Uhr ging es los. Renate Wießner, Beauftragte für Organisation und Durchführung der kirchlichen Angebote für die Senioren der Gemeinden Herrenberg und Umgebung, hatte, wie immer, mit ihrem Team von Helferinnen zuvor alles perfekt organisiert und gestaltet. Sie begrüßte die Anwesenden in dieser besonderen Zeit vor dem Osterfest. Ein Priester im Ruhestand aus der Gemeinde Herrenberg sprach ein Gebet. Ohne (mindestens) eine Anekdote vor dem Kaffeetrinken geht es bei Renate nicht. Dieses Mal eine jüdische. Die vom Rabbiner, der ins Jenseits kommt. Gott teilt ihm Elia als Führer durch die unbekannten Welten zu. In der einen gibt es die köstlichsten Speisen. Schade nur, dass die Löffel zum Essen zu lang sind. Man kann sie nicht zum Mund führen. n der anderen Welt verhindern lange Löffel nicht den Genuss. Da wird sich gegenseitig gefüttert. Womit geklärt war, was Himmel und was Hölle ist.
Körbchen standen auf den Tischen, gefüllt mit dem Grundnahrungsmittel der Schwaben, Butterbrezeln. Dazu gab es Kaffee oder Tee. Und, da auch dieser Volksstamm im Südwesten Deutschlands keineswegs allein von Brezeln lebt, ließ man sich auch den vom besten Bäcker Herrenbergs besorgten Heidelbeerkuchen schmecken. So gestärkt waren alle gut gerüstet, um ohne knurrenden Magen den Ausführungen zum Thema "Islam" zu folgen. Dazu war aus Tübingen Debora Müller gekommen, die, das sei vorweggenommen, kompetent, zugewandt und geduldig, auf alle Fragen aus dem Auditorium eingehend, Antworten gab und das an Grundzügen vermittelte, was in der Kürze der Zeit möglich war. Dafür ein herzliches Dankeschön. Müller ist seit etwa eineinhalb Jahren wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Zentrum für Islamische Theologie, das der Universität Tübingen angegliedert ist.
Zu erfahren war, dass derzeit laut Bundesamt für Statistik etwa fünf Millionen in Deutschland lebende Mitbürger dem Islam angehören. Müllers erklärtes Ziel, das sie mit ihrer Einführung in diese Religion erreichen wollte, war: Information, Abbau von Vorurteilen und, christliches Glaubensverständnis beibehaltend, religiöses Verständnis für einen im christlichen Abendland auf den ersten Blick fremd erscheinenden Glauben schaffen. Ganz wichtig dabei - die Trennung von Islam und Islamismus. Einerseits Muslime, die ihren Glauben leben wollen und andererseits die, die ihn für andere, schlimme Ziele missbrauchen.
Müller erklärte die unterschiedlichen Glaubensrichtungen, die es im Islam genauso wie auch im Christentum gibt. Den einen Islam findet man nicht. Womit man bei dessen Geschichte ist. Im 6. Jh. wird Mohammed geboren. Er lebt in Arabien. Ein Suchender ist er, der spätere Prophet. Möglicherweise aufgrund seiner eigenen Biografie, früh verwaist, bekommt er einen Blick für schlimme soziale Missstände. Ihn treibt der Gedanke um, dass es Gott ist, der etwas tun muss, um dem abzuhelfen. Nach dessen Willen sucht er. Der schickt ihm, da ist Mohammed schon im Erwachsenenalter, den Erzengel Gabriel. Der soll ihm als direkter Bote Gottes dessen Willen offenbaren. So entsteht die göttliche Lehre des Islam und Mohammed wird ihr Prophet. Er kann den göttlichen Willen nicht für sich behalten. Er findet Anhänger, die ihm folgen. So wird Mohammed als religiöses Oberhaupt auch Inhaber der weltlichen Macht in Mekka, denn Religion und Politik gehen Hand in Hand. Die Bewohner dort sind Araber. Die sind gewohnt, zum einen ihre Ziele kriegerisch durchzusetzen. Zum anderen betreiben sie weltweit Handel. So gewinnt der Islam zunächst die Herrschaft über die arabische Halbinsel und verbreitet sich über die Handelswege nach Afrika, Indien, Südostasien, Russland, China, später im Mittelmeerraum und bis ins Habsburger Reich. Heute sind weltweit 1,6 Mill. Menschen Moslems. Nach dem Christentum hat dieser Glaube die meisten Anhänger.
Nach Mohammeds Tod im 7. Jh. stellte sich die Frage, wer ihm nachfolgt und das Machtvakuum füllt, denn es gab keinen designierten Nachfolger. Zwei Gruppen bildeten sich, die Schiiten und die Sunniten. Letztere bilden heute die Hauptgruppe. Für sie steht neben dem Koran die Sunna im Vordergrund, die Lebensgewohnheit des Propheten. Völlig normale menschliche Attitüden, die, da der Prophet sie hatte, sie seiner Meinung entsprachen, als nachahmenswert gelten. Während das Wichtigste die Offenbarung Gottes im Koran ist, ist die Sunna, die Prophetengewohnheit, für Sunniten erstrebens- und nachahmenswert. Die meisten in Deutschland lebenden Türken zählen zu den Sunniten. Für Schiiten hingegen spielt die Sunna keine so große Rolle. Insbesondere unterscheiden sie sich durch die Anerkennung anderer Nachfolger des Propheten. Schiiten findet man vornehmlich im Irak und Iran. Zu ihnen lassen sich die aus der Türkei stammenden Aleviten zählen, die dort allerdings eine Minderheit sind.
Naturgemäß gibt es auch im Koran Widersprüchliches und Auszulegendes. Man kann nicht alles wörtlich nehmen vor dem Hintergrund seiner Entstehung: Mohammed hat aufgeschrieben, was ihm vom Erzengel Gabriel eingegeben worden ist. Da ist auch viel Widersprüchliches dabei. Das wird ausgelegt von Korangelehrten, aber ein richtiges Oberhaupt, das die Linie bestimmt, gibt es bei den Sunniten heute nicht mehr. Es gab bis 1923 in der Türkei als Oberhaupt einen Kalifen, dessen Funktion mit der Säkularisierung durch Mustafa Kemal Atatürk endete. Bei den Schiiten dagegen wurde eine Organisationsstruktur beibehalten.
Die Scharia wurde angesprochen, das religiöses Gesetz. Darunter ist "der Weg zur Tränke" zu verstehen, bildlich gesehen das, was für den Christen der "schmale", der gute Weg ist, und nicht der bequeme. Heute sicherlich nicht mehr in allem wörtlich zu nehmen, weil aus lange vergangener Zeit stammend. Wichtig ist der ursprüngliche Sinn. Man muss das Gesetz in seinem früheren zeitlichen und örtlichen Kontext sehen und verstehen - Warnung vor einem Dieb, dem als Strafe als äußeres Zeichen seines schlimmen Tuns und Warnung für andere die Hand abgehackt wurde. Schleier tragen, ursprünglich eine nicht aus dem Islam stammende Praxis, (u.a. um Kopf und Haar der Frauen, vor Staub und Dreck zu schützen, wenn man sich draußen aufhält) wird im Koran insbesondere den Prophetenfrauen geboten, daher ist es immer noch Interpretationssache, ob dieses Gebot für alle Frauen gilt.
Die Inhalte des Islam ruhen auf verschiedenen "Säulen". Die erste ist das Glaubensbekenntnis: Dass es außer Gott keinen Gott gibt und Mohammed Gottes Prophet ist. Eine weitere Säule ist das Gebet, fünfmal am Tag, zu dem bestimmte Riten gehören und wozu in die Moschee gerufen wird. Die Almosenabgabe ist wichtig. Nicht der Zehnte, wie bei den Juden und später bei den Christen. Der Prozentsatz beläuft sich im Islam auf 2,5 % des Einkommens, den jeder zu spenden hat, seinem Gewissen geschuldet und nicht durch Institutionen überwacht. Die Fastenzeit muss eingehalten werden, der Ramadan. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang weder essen noch trinken. Mit dem großen Fest des Fastenbrechens nach vier Wochen. Einmal im Leben soll ein gläubiger Moslem nach Mekka fahren. Einmal im Jahr wird das Opferfest gefeiert. So groß, wie wenn Ostern und Weihnachten für einen Christen auf einen Tag fallen würden. Das Opferfest wird gefeiert zur Erinnerung an Abraham, der letztlich seinen Sohn nicht Gott opfern musste, so, wie es auch im Alten Testament steht. Nur, dass es dabei um den Sohn Isaak ging und bei den Muslimen um Abrahams Sohn Ismail geht.
Neben anderem wurde noch angesprochen, dass Jesus im Islam als Prophet der Liebe hochgeachtet wird. Ein "toller" Prophet, aber nicht der Sohn Gottes. Es wird an die unbefleckte Empfängnis geglaubt, was auch im Islam zur Marienverehrung führt. Einen Ewigkeitsglauben gibt es ebenfalls. Wer Gottes Gebote hält, sammelt Punkte fürs Paradies, etwas flapsig ausgedrückt. Minuspunkte durch schlechte Taten stehen dagegen, und die Bilanz? Darüber entscheidet ein als barmherzig und gerecht gepriesener Gott. Dazu musste zwangsläufig aus dem Publikum die Frage kommen, wie es sich denn mit dem angeblich göttlichen Versprechen von vielen Jungfrauen für die im Kampf für Allah gestorbenen heiligen Krieger verhalte. Schließlich ungerecht den Frauen gegenüber, oder? Wobei man sich ohnehin schon fragt, wo die Vielzahl an Jungfrauen für jeden heiligen Krieger eigentlich herkommen soll? Die Frage nach der Rolle der Frau im Islam kann als die der geschätzten Partnerin und Mutter beantwortet werden. In den früheren sehr großen Familien sitzt sie nicht alleine, sondern umgeben von vielen Verwandten und Freundinnen im Haus, während die Männer sich im öffentlichen Raum treffen. Noch ein Hinweis der Referentin zum Schluss: Wenn gelegentlich - für unser Empfinden - religiöse Gepflogenheiten anderer zu demonstrativ nach außen gelebt werden und das Verhalten manchmal (zu) viel Toleranz abverlangen könnte, dann trotzdem nachsichtig sein. Für den, der in der Fremde lebt, ist die Religion, weil seit Kindesbeinen vertraut, auch Ersatz für die fehlende Heimat in der Fremde.
Und das Eingangszitat - ist eine Bitte aus dem Eingangsgebet an diesem Nachmittag. Die sogleich erfüllt wurde, denn alle waren mit viel Interesse und Eifer dabei, Wissenswertes zu einem Thema zu erfahren, so weit das in kurzer Zeit möglich ist. Auch das macht Freude, sich gemeinsam auf fremdes Terrain zu wagen und gemeinsam durch fachkundige Hilfestellung viel darüber zu lernen.