...rund 25 Teilnehmer - Schwaben und Zugereiste, wollten wissen, ja, wo leben wir eigentlich?
An diesem Tag war weniger Frühling als Frühsommer. "Richtige" Schwaben wie auch Reig`schmeckte hatten sich aufgemacht in die Landeshauptstadt. Ein Großteil war um 9.00 Uhr beim Bahnhof Herrenberg zusammengekommen, um mit der S-Bahn nach Stuttgart zu fahren. Andere, auch schon "Stammgäste", wenn Gerlinde Kleemann zum Kulturtag einlädt, reisten von außerhalb des Kirchenbezirks Tübingen an. Es war genug Zeit gewesen, vor dem Besuch der Ausstellung noch ein wenig Stuttgart zu erkunden und/oder gemeinsam zu Mittag zu essen. In der Stadt blühte und grünte es mit Blumen und Pflanzen, besonders auf dem nahe zum Alten Schloss gelegenen Markt. Überall lebhaftes Treiben. Pünktlich um 13.15 Uhr kamen alle Teilnehmer im Alten Schloss zusammen, damit es mit der rund einstündigen Führung losgehen konnte.
Eine 100-%ige Schwäbin, wenn auch nicht aus den württembergischen Kernlanden stammende jugendliche Führerin leitete durch die Ausstellung. Gleich zu Beginn gab es auf einer großen Leinwand Filmausschnitte zu sehen, mit Ton aus unterlegt: Bekannte schwäbische Figuren, Häberle und Pfleiderer, lieferten sich Wortgefechte und sagten einander das Notwendige "im Guten". Äffle und Pferdle, über die Reichweite des früheren süddeutschen Rundfunks hinaus gehend bundesweit bekannte Figuren als Füller zwischen Werbespots im Fernsehen, tauchten auf mit ihren Dialogen über Gott und die Welt. Bienzle, Tatortkommissar, und sein Vermieter (im Film) diskutierten die ordnungsgemäße Durchführung der Kehrwoche. Und dass gefälligst wegen der gleichmäßigen Abnutzung des Belags die Treppenstufen nicht ausschließlich mittig hinauf- oder hinab zu laufen seien.
Es folgte der Weg durch die Ausstellung, deren Exponate in einzelnen Räumen, nach Epochen gegliedert, zu besichtigen sind. Von Konradin, dem Stauffer, 1268 in Sizilien geköpft und vorerst letzter Herrscher über Württemberg, bis in die Neuzeit gab es zuerst einen groben Überblick über die Geschehnisse durch die Jahrhunderte, bevor es in den einzelnen Räumen ins Detail ging. Davor waren einmal vor langer Zeit die Sueben von der Ostsee gen Süden gezogen und hatten zusammen mit den Alemannen ein Gebiet, Grenze von West nach Ost eine Linie wenig nördlich von Stuttgart, im Osten bis nach Augsburg und im Süden bis in die Schweiz hinein, bewohnt. Später erstreckte sich dieses Gebiet auf die Bistümer Chur, Konstanz und Augsburg. Die bekamen Streit miteinander. Ergebnis der kriegerischen Auseinandersetzung war die Trennung von Schweizern und Schwaben. Erhalten blieben die wechselseitigen Schimpfnamen "Sauschwaben" und "Kuhschweizer". Rudolf von Habsburg, später Landesherr auch von Württemberg, das zunächst keinen eigenen "Gesamtherrscher" vor Ort hatte, musste feststellen, dass die regionalen Württemberger "Herrscherle" das Vakuum gern nutzten, um ihre eigene Macht auszubauen. Rudolfs Gegenmaßnahme: Er nahm zu den Städten Kontakt auf, platzierte überall im Land Reichsstädte. Letztlich waren es von 50 insgesamt in seinem Reich 30 Orte in Württemberg, mit denen es Vereinbarungen direkt mit dem Kaiser gab. Die Bürger dieser Reichsstädte waren nur ihm verpflichtet, nicht aber dem örtlichen Herrscher. Diese Städte erstarkten und Handel und Wandel konnten dort eine gute Entwicklung nehmen.
Erst war es Ulm. Begünstigt durch die Lage an der Donau blühte der Handel. Und daraufhin die bildende Kunst. Wie es so ist, wenn sich erst mal herumspricht, dass eine Lage günstig für das eigene Gewerbe ist, dann zieht es andere nach, gilt für Kaufleute wie für Künstler. In einem Raum der Ausstellung konnte man Meisterwerke der Ulmer bildenden Künstler bewundern, die im 15. Jh. von Ulm, derzeit die Metropole Württembergs, in alle Welt vertrieben wurden. Der Handel blühte, so dass Geld für Kunst da war. Schwerpunkt der Wirtschaft waren Ulmer Textilwaren. So konnte man sich auch den Bau des Ulmer Münsters leisten. Erst noch ohne den heute höchsten Kirchturm der Welt. Damit wurde bis zum Ende des 19. Jh. gewartet, nachdem der Kölner Dom und dessen Türme fertig waren. Dann erst wurde wohlweislich der Münsterturm auf die Kirche aufgesetzt, am Ende vier Meter höher als man in Köln gebaut hatte.
Zurück in die Zeit davor. Nichts ist von Dauer. Im 16. Jh. zog es die Künstler nach Augsburg, jetzt die Schwabenmetropole. Da blühte nicht nur die Kunst, sondern auch der Handel. Wieder begünstigt durch die Lage am Fluss, dem Lech. Bekannteste Händlerfamilie: die Fugger. Nach heutigen Begriffen "global Player", die alles Mögliche, auch Kriege, finanzierten und so ihren Reichtum vermehrten. Begünstigt dadurch, dass es in Augsburg keinen Streit zwischen Protestanten und Katholiken gab. Seit dem "Augsburger Religionsfrieden", 1555, lebten die Angehörigen beider Konfessionen friedlich miteinander.
Einer der Ausstellungsbesucherwies auf die Bedeutung Esslingens als ehemalige Reichsstadt hin. Auch wegen der Lage am Neckar aufgeblüht durch den Handel. Schon seit Ende des 8. Jh. wurde dort Wein angebaut und per Schiff vertrieben.
Die dritte auf damaligem württembergischem Gebiet gelegene große Reichsstadt mit besonderer Bedeutung war Konstanz. Auch dazu gab es einen Raum mit Ausstellungsstücken. Ulm, Augsburg und Konstanz bildeten den Schwäbischen Reichskreis, dessen Vertreter, darunter der Herzog von Württemberg, regelmäßig zusammenkamen, zuletzt im Jahr 1808. Das Wappen des Reichskreises waren drei Löwen, die, die heute noch die Fahne Württembergs zieren.
Weiter ging es über die verschiedenen Zeitabschnitte bis in die Neuzeit, alles aufgegliedert dargestellt in einzelnen Räumen mit den entsprechenden Exponaten. Ein Raum war dem schwäbischen Pietismus gewidmet. Da war der erste "Taschenrechner" zu sehen, der alle vier Grundrechenarten beherrschte. Konstruiert von Philipp Matthäus Hahn, pietistischer Prediger und Feinmechaniker. Der Pietismus, der nicht nur in Herrenhuth, sondern auch in Schwaben zu besonderer Blüte kam. Ausgestellt dazu u. a. das Sonntagsgewand der Frauen zu der Zeit, mit dem man in die Kirche ging. Lang, schwarz und schmucklos, bis auf eine metallene Spange, verziert je nach wirtschaftlichen Möglichkeiten, und hinten am Kleid in Nackenhöhe befestigt. Aber so, dass man sie in der Kirche in einer Stofffalte verschwinden lassen konnte (und musste). Im Gottesdienst sollten die, denen man beim Sitzen den Rücken zukehrte, durch keinen extravaganten Schmuck von der Andacht abgelenkt werden.
Napoleons Kriege, der damit ganz Europa "durcheinander" gebracht hat, so dass dessen Neuaufteilung die Folge war, führten u. a. dazu, dass 1806 das Königtum Württemberg entstand. In engeren, den heutigen Grenzen. Jetzt mit Stuttgart als Hauptstadt. Hinzu kam der Hohenlohekreis. Ein bekannter Mäzen, dort ansässig und offensichtlich großer Lokalpatriot, konnte sich ausnahmsweise mal nicht als Sponsor bei einer Ausstellung im Südwesten Deutschlands einbringen, wurde berichtet. Schließlich ging es bei der um die Geschichte der Schwaben und damit nicht um die eigene.
Gezeigt werden auch die vielen Erfindungen, die in Württemberg ihren Ursprung haben. Ausgestellt ist im Original das von Gottlieb Daimler konstruierte erste Motorrad, mehr einem Fahrrad ähnelnd. Generell gab es um die Jahrhundertwende (19./20.) in Württemberg zwei Welten: die bäuerliche mit Landwirtschaft, ohne Technik, wie es immer schon war. Diese Zeit ist auf Gemälden in der Ausstellung, romantisch verklärt, zu sehen, Daneben entstand die sich allmählich entwickelnde eher städtische mit Erfindungen, Industrie und einem völlig anderen Leben in der Stadt. Erst in den 60er, 70er Jahren des vorigen Jh. entwickelte sich Stuttgart zur "richtigen" Metropole, wie wir sie heute kennen, und dehnte sich auch erheblich über die Kernstadt hinaus aus.
In einem weiteren Raum der Ausstellung befindet sich ein Sprachlabor. Von 1950 bis 1980 hat ein Forscher der Universität Tübingen mit seinen Assistenten vor Ort in den verschiedenen Regionen die Dialekte Württembergs aufgenommen und konserviert. Zwei Hörproben von vielen wurden vorgespielt (mit Übersetzung ins Hochdeutsche). Ob die Teilnehmer dieser Führung, Schwaben aus dem Großraum Stuttgart, das Original verstehen konnten? Der Zugereiste jedenfalls nicht. Schwäbisch ist eben nicht gleich Schwäbisch.
In einem andern Raum hingen an der Wand Exponate, die die den Schwaben nachgesagten Eigenschaften dokumentieren: Schaffen, Sparen, Putzen, Häuslebauen. Zum Beispiel aufgebügeltes Geschenkpapier. Das Heilig`s Blechle, neuzeitlich durch den Mercedesstern vom Auto verkörpert. In einem Schaukasten dargeboten zusammen mit dem ursprünglichen Heiligen Blech: Ein möglichst blank geputztes rundes Metallstück, an der Kleidung auffallend befestigt, als "Ausweis" des Trägers, Almosen sammeln zu dürfen, denn Betteln und Hausieren waren ansonsten verboten. Also war man gut beraten, das Heilige Blech blitzeblank geputzt zur Schau zu stellen. So, wie halt später den Mercedesstern am Auto, das einmal pro Woche (mindestens) vom Schwaben gewienert wird, das heutige Heilig`s Blechle. Die "Schwäbische Schaltung" war ebenfalls zu sehen. In Mehrfamilienhäusern mussten die jeweiligen Stromanschlüsse für die Beleuchtung der individuellen Kellerräume mit einem Schlüssel des Mieters freigeschaltet werden. Damit bloß keiner mit fremdem Strom in seinen Kellerraum Licht machen kann. Das mit der Assoziation Schwabe - Häuslebauen ist noch nicht ganz so alt. In einem Schlager der 60er Jahre wird das Faible der Schwaben besungen und diese Eigenschaft ihnen zugeschrieben. Sicher nicht zu Unrecht, denn wo gab es die erste Bausparkasse?
In einem anderen Raum hängen, jeweils in großen Glaskugeln untergebracht, die Gegenstände von der Decke, die schwäbischen Erfindergeist dokumentieren und sich Weltbekanntheit und -beliebtheit erfreuen: Dübel, BH, Matrosenanzug, elektrische Eisenbahn, Winkelschleifer, Hochdruckreiniger und Vieles mehr. Wobei die beiden letztgenannten auch das Vokabular international bereichert haben, flexen und kärchern...
Und zu allerletzt das Wichtigste, das schwäbisches Grundnahrungsmittel: Spätzle. Auch ihnen ein ganzer Raum gewidmet. In dessen Mitte eine große runde, nach allen Seiten durchsichtige Glasvitrine. Darin Werkzeuge und Maschinen sowie Zutaten, die für die diversen Zubereitungsarten des schwäbischen Nationalgerichts notwendig sind. Mechanisch mit Womenpower, dafür Holzbrett und Schabemesser; Spätzleschwab zum Durchpressen des Teigs und auch der neumodische Spätzleshaker. Dahinein kommen alle Zutaten, Mehl, Wasser usw., dann wird geshaked und unten kommen die fertigen Spätzle heraus ins heiße Wasser. Das Resultat sei doch nicht ganz überzeugend, wurde berichtet. Erfunden sein sollen die Spätzle von einem Göppinger im Jahr 1725. Der benutzte, in Göppingen an der Quelle wohnend, Mineral- statt Leitungswasser. Damit sollen die Spätzle schön fluffig werden, so dass deren Oberfläche möglichst groß ist und sie ganz viel Soß aufnehmen können. Das Gerät zum Herstellen der Knöpfle aus Spätzleteig, der wird über ein gelochtes Blech geschoben, so dass Tropfen ins heiße Wasser fallen, war selbstverständlich auch zu sehen. Und wer es bis dahin noch nicht gewusst hatte, erfuhr es jetzt: Im Allgäu gibt es nur Knöpfle. Weshalb man bei Spätzle zwischen evangelischen und katholischen unterscheiden kann.
Herzlichen Dank für den gelungenen informativen Ausflug in die Landeshauptstadt an die Organisatorin. Und wie sie das mit dem Wetter hinbekommen hat...schließlich war im Vorhinein nicht sicher, dass nur Engel reisen würden.