„Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ Was dieses Sprichwort (?) am Beginn eines Gottesdienstberichts zu suchen hat, das wird nachfolgend noch geklärt werden.
Es war ein zunächst noch sonniger, im weiteren Verlauf fürchterlich verregneter Februartag, an dem der erste Gottesdienst für die Jugendlichen des Bezirks Tübingen im Jahr 2016 „zu Haus“ stattfand. In Ammerbuch, seit Anfang 2015 der Ort für die Jugendgottesdienste, die es im Bezirk Tübingen gibt. Im Januar 2016 war man nach Singen zum Gottesdienst gefahren. Dort waren Jugendliche aus vier Bezirken des Apostelbereichs Freiburg/Tübingen zusammengekommen. Viele „seiner“ Tübinger waren in Singen, wie ein darüber sehr erfreuter Bezirksvorsteher, Klaus von Bank, in Ammerbuch zufrieden feststellte. Er leitete dort den Gottesdienst. Zuvor hatte es ab 9.00 Uhr eine Chorprobe für sonntägliche Frühaufsteher gegeben. Dazu waren erstaunlich viele dieser an sich doch eher seltenen Spezies gekommen. Nach dem Proben, in der Viertelstunde Pause bis zum Gottesdienstbeginn um 10.00 Uhr, ließ Jan-Thilo Bayer am Klavier nichts unversucht, um mit seinem bekannt temperamentvollen Spiel auch die letzten etwaigen Reste von Sonntagsmorgenmüdigkeit zu vertreiben. Erfrischende und wach machende Getränke – die Ammerbucher sind bekannt für ihre Gastfreundschaft – taten ein Übriges.
Im Eingangsgebet war es K. von Bank ein spürbar großes Anliegen, um Gottes Hilfe für den Weg des Lebens und des Glaubens der jungen Menschen zu bitten. Diese besondere Lebenszeit, in der entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt werden, möge nicht ohne göttlichen Schutz und Segen verlaufen. Die Jugendzeit, so der Bezirksvorsteher zu Beginn des Gottesdienstes, dauert eigentlich nur ein paar Jahre. Aber die sind voll mit selbst und von anderen gesteckten Zielen und mit eigenen Wünschen für die Zukunft. Schön, gerade auch dann Gott erleben zu dürfen. Vielleicht in Situationen, in denen man sich überfordert fühlen könnte, zu erfahren, wie er Wunder wirken kann.
„Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch. Das ist das Gesetz und die Propheten.“ (Mt. 7,12) Und das Gegenstück dazu – da zitierte der Bezirksälteste das zu Beginn des Berichts wiedergegebene „Sprichwort“, das ursprünglich keines ist. Martin Luther hat bei seiner Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache so gereimt. Die Formulierung aus dem Alten Testament (Tob 4,16) wurde sprichwörtlich, dieser „Umkehrschluss“ zum Text aus dem Evangelium des Matthäus.
Anspruchsdenken gehört zu einer Leistungsgesellschaft. Was muss ich tun, damit ich einen optimalen Gewinn habe? Alltägliches Denken im Wirtschaftsleben. Und sonst – was tun wir , was erwarten wir dafür von dem Anderen ? Das wirkt in dieser Form berechnend und kühl kalkuliert. Ich bin freundlich, hilfsbereit, der andere soll das dann auch sein. Schon die Prämisse klappt nicht immer. Wie oft steht man selbst mit dem „falschen Fuß“ auf und lässt seinen Unmut an anderen aus. Und einen „Anspruch auf Gegenleistung“ für eigenes Wohlverhalten, wenn man es denn schafft, den gibt es schon gar nicht. Wie es sein kann mit der Rücksichtnahme, das wurde am Beispiel einer Alltagssituation geschildert: Ich will mit meinem Fahrzeug aus einer Ausfahrt heraus – keine Chance, ein Auto nach dem anderen kommt. Bis jemand sich an eigene erlebte Nöte erinnert, auf sein Vorfahrtsrecht verzichtet und stehen bleibt – für mich. Ohne dazu verpflichtet zu sein.
Und im Glaubensleben? Da braucht es mehr Energie als nur einfach mal zurückzustecken. Was erwarten wir von anderen als Reaktion bezüglich unseres Glaubens? Sind wir bereit, alles dafür zu tun, um ihr Interesse an dem, was wir glauben, zu wecken? Jesus` Leben war geprägt von derartiger Arbeit. Da war der Zöllner, der zu Recht den Ruf hatte, sich nicht an das Gesetz zu halten. Der Gottessohn hieß das nicht gut, aber trotzdem folgte er dessen Einladung. Und der – gelobte Besserung, ein gerechtes Verhalten, was sicher ohne Jesus` Entgegenkommen nicht so geschehen wäre. Am Teich von Bethesda nahm er sich des Hilflosen an. Der erfuhr erst im Nachhinein, als er geheilt war, wem er das zu verdanken hatte, dem Gottessohn. Erregte Gemüter bei den Schriftgelehrten. Eine Heilung am Sabbat und damit eine Verletzung mosaischen Gesetzes. Jesus ließ die dahinstehen, aberkannte nicht die Gültigkeit der Regeln, aber er wertete das Gesetz der Liebe höher. Die Sünderin, die gesteinigt werden sollte. Jesus befand nicht ihr Verhalten für richtig, für das sie bestraft werden sollte. Aber er wollte, dass sie wieder aufstehen konnte. Deshalb hieß es: “Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.“
Unser Verhalten gegenüber Schwachen – die sind doch selber schuld? Ich fühle mich selbst benachteiligt und soll anderen helfen? Im Werk Gottes darf es keinen Hass geben. „Als Christ helfe ich allen, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit.“, betonte der Bezirksvorsteher abschließend.
Zu Beginn hatte der Chor in englischer Sprache gesungen, nun wurde es französisch (in der zweiten Strophe dann wieder englisch): Jèsus le Christ, lumière intérieure,..“ (Nr. 53 Jugendliederbuch der Neuapostolischen Kirche, Musik Jacques Berthier, Gesänge aus Taizé). Der Text, in deutscher Übersetzung, wurde vor dem Gesang von einem Chormitglied gesprochen: „Jesus Christus, dein Licht scheint in uns. …“
Danach trat einer der beiden Jugendorganisationsleiter des Bezirks Tübingen an den Altar. Sie sind für „Events“ zuständig, Freizeitgestaltung, Ausflüge, gemeinsame Unternehmungen – eine Arbeit, die sich oft im Hintergrund abspielt, wie K. von Bank sagte, ohne die es aber keinen „Vordergrund“ gäbe. Der junge Amtsträger führte ein Beispiel aus dem praktischen Leben an: Ich werde gebeten, bei einem Umzug mitzuhelfen. Tue ich das einfach so aus Freundschaft oder habe ich schon meinen eigenen nächsten Umzug im Kopf? Wichtig ist die Einstellung: ohne berechnendes Verhalten und Denken an meinen Vorteil mit anfassen, wenn ich gebraucht werde. Uneigennützig denken, das gilt auch für Nachsichtigkeit und Vergebungsbereitschaft anderen gegenüber.
Danach kam einer der vielen Jugendleiter des Bezirks zu Wort, die auch nach Ammerbuch gekommen waren. Sich an Jesus ein Beispiel nehmen, hieß es. Er hat jedem das Heil angeboten, egal, ob der gleich gesinnt oder ein Sünder war. Das, was man mir tun soll, tue ich auch für jeden anderen. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt, Jesus` Worte zu Taten werden zu lassen.
Der stellvertretende Leiter des Bezirks Tübingen, Werner Lampprecht, dort zuständig u. a. für die Jugendarbeit, konnte sich zu Beginn seines Beitrags zum Gottesdienst nicht genug über den Chor freuen. Zum einen füllte der so gut wie den ganzen linken Teil des Kirchenschiffs. Und zum anderen, er habe es gar nicht glauben können, als man es ihm sagte – die Jugendlichen und ihre Dirigentin, Friederike Huber, hatten nicht nur des Sonntags früh geprobt, sondern zusätzlich auch am vorhergehenden Freitagabend! Die SängerInnen hatten zwischendurch beeindruckend schwungvoll einen Kanon vorgetragen, aber dazu später mehr. Der Appell W. Lampprechts an die Jugendlichen lautete, die Einstellung zu haben: Ja, ich tue etwas für den Anderen ohne Erwartung einer Gegenleistung. Ich tue Gutes nicht aus Berechnung. Und ja, die Sünderin damals hat sich nicht richtig verhalten, aber ich habe nicht das Recht, anderen etwas vorzuwerfen. Das überlasse ich dem lieben Gott. Zum Thema Gutes tun sprach der Bezirksevangelist besonders die Jugendlichen aus den Gäugemeinden an. In Herrenberg wird ein großes Erstaufnahmelager für Asylsuchende eingerichtet. Das bietet jede Menge Gelegenheiten, anderen Hilfe zu leisten.
Vor der Feier des heiligen Abendmahls ging der Bezirksvorsteher sehr eindringlich auf das Thema Vergebung ein. Es ist unsere tägliche Aufgabe, es recht zu machen, und wie oft scheitern wir. Dann braucht es Vergebung. Die setzt die Bereitschaft dazu bei anderen voraus. Aber es können schlimme Dinge geschehen sein, die das sehr schwer machen. Mancher muss sein ganzes Leben darum kämpfen, etwas vergeben zu können. Oft auch vergeblich. Unsere Aufgabe ist es, anderen dabei zu helfen, verzeihen zu können.
Beim zwischendurch gesungenen Kanon (s. o.) handelte es sich um den ersten Teil eines Doppelkanons (Nr. 53 Jugendliederbuch, Text und Musik Peter van Woerden). Ein „Ohrwurm“, der manchem nicht so schnell aus dem Kopf gegangen sein könnte:
„Lasst uns miteinander Singen, loben, danken dem Herrn. …“