„Doch müssen wir bekennen, dass oft die Liebe fehlt, weil Zank, versteckter Hochmut tief unsre Herzen quält.
Wir können schwer vergeben, wir fühlen uns gekränkt, behindern den Geist Gottes, der unsere Herzen lenkt…“
(aus Vers 3, Nr. 352, Chorbuch für den neuapostolischen Gottesdienst, Text und Melodie Bärbel Lindhüber)
Zwar trübes Wetter, aber strahlende Gesichter auf Seiten der Gastgeber wie auch bei den Gottesdienstbesuchern von außerhalb. Im Eingangsbereich wurde eilends noch mit aneinandergereihten Zelt-Pavillons dafür gesorgt, dass von dort an jeder trockenen Fußes ins Gebäude gelangen konnte. Im unteren Kirchengeschoss war ein nahrhafter Empfang für die zum Teil von weither Angereisten vorbereitet worden, denn immerhin reicht der Bezirk Tuttlingen im Süden bis nach Konstanz, das ist nicht gerade vor der Ofterdinger Haustür gelegen. Ab 10.15 Uhr gab es eine Ansingprobe des „zusammengewürfelten“ Chors aus allen vier Bezirken. Wie auch später im Gottesdienst wechselten sich drei Dirigentinnen und ein Dirigent ab. Für die instrumentale Begleitung sorgten Orgel und Klavier. Und es klappte auch, die weiblichen und männlichen Stimmen auf ein einheitliches Tempo zu bringen. Anfangs waren erstere etwas voraus gewesen und letztere etwas hinterher, aber auch die wurden von einer schwungvollen, etwaige Reste von Bettschwere flugs vertreibenden Dirigentin in Gang gebracht.
Bischof Georg Kaltschmitt leitete den Gottesdienst. „Sei du erlebbar in unserer Mitte. Freude, Trost, Kraft, Mut mögen in deinem Wort liegen. Lass in uns Frieden sein und es still werden in unseren Herzen“, so hieß es im Gebet. Der Bischof ging zu Beginn auf den gerade verklungenen, eingangs zitierten dritten Vers des vom Chor gesungenen Lieds ein: Ein Bekenntnis eigener Unfähigkeit, und das Gott gegenüber, der ohnehin alles weiß. Aber diese Einstellung gefällt ihm, der uns die notwendige Kraft geben kann, Schwächen zu überwinden.
Ein paar „Spotlights“ wollte G. Kaltschmitt auch auf den Gottesdienst mit Kirchenpräsident und Stammapostel Jean-Luc Schneider am Sonntag zuvor in Rottweil richten. Da war es darum gegangen, „sich zur geistlichen Priesterschaft zu erbauen“ (aus Petr 2, 5). Was bedeutet, den „alten Adam“ zu bezwingen. Wer das ist? Das eigene Wesen, wie es von den Vorfahren ererbt sein mag. Sich nicht damit abfinden, der Opa war vielleicht auch schon so, was kann ich dafür, dass ich so bin, sondern versuchen, es besser zu machen. Geistliche Priesterschaft bedeutet nicht, wie es seit Jahrhunderten in Klöstern versucht wurde und wird, sich abzusondern und am „normalen“ Leben nicht mehr teilzunehmen. Vielmehr im Alltag, trotz Schule, Studium und Prüfungen, aus der jeweiligen Lebenssituation heraus, sich bemühen, so zu leben, wie es göttlicher Art entspricht. Den Wert des Gebets erkennen, besonders den des gemeinsamen in der Gemeinde. „War das gerade gesprochene Eingangsgebet im Gottesdienst nur äußerlich ein gemeinsames oder wirklich ein solches? Wo waren deine Gedanken dabei?“ Im Gebet gibt es Stichworte, die uns bewegen können, sie mit eigenen Gedanken anzureichern, damit daraus besondere Kräfte für jeden Einzelnen erwachsen können.
„Und sie kamen nach Kapernaum. Und als er daheim war, fragte er sie: Was habt ihr auf dem Weg verhandelt? Sie aber schwiegen, denn sie hatten auf dem Weg miteinander verhandelt, wer der Größte sei. Und er setzte sich und rief die Zwölf und sprach zu ihnen: Wenn jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein von allen und aller Diener.“ (Mk 9, 33 – 35)
G. Kaltschmitt erläuterte den Kontext des zu Beginn verlesenen Bibelworts. Jesus war mit drei seiner Jünger auf dem Berg der Verklärung gewesen. Er hatte ihnen dort erklärt, dass er sterben werde. Es belastete ihn, denn schließlich war er auch nur ein Mensch. Und nun musste er feststellen, dass sie nichts von alledem verstanden hatten. Sie wussten nichts Besseres zu erörtern als die Frage, wer denn nun der Größte sei. Jesus ging nicht gleich darauf ein. Er beschränkte sich aufs Zuhören. Er fragte erst nach der Rückkehr, worüber sie diskutiert hatten. Und er erklärte ihnen noch einmal, worum es wirklich ging und geht.
Es ist ein menschliches Urbedürfnis, groß herauszukommen. In jeder Lebensphase. Von Kindheit an bis in die späteren Jahre. Man kann auch noch Wert darauf legen, im Altersheim der Größte von allen zu sein. In der Jugend befindet man sich in der Entwicklung. Ist oft geprägt von Selbstzweifeln, unzufrieden, unglücklich mit sich selbst. Man könnte anders aussehen, größer oder kleiner sein. Haut, Haare, alles nicht optimal. Dieses Minderwertigkeitsgefühl kann man mit spektakulären Auftritten und Aktionen versuchen zu kompensieren. Hoffen, so Bewunderung hervorzurufen, nur, um sich selbst zu beweisen, dass man so schlecht doch gar nicht ist. Da kommt nun Jesus und sagt, willst du der Größte sein, musst du der Letzte sein – ein bisschen viel verlangt. Muss man etwa in Sack und Asche gehen?
Man sollte nie vergessen, dass wir uns immer unter den Augen Gottes bewegen, der alles hört und sieht, der weiß, was wir denken und fühlen. Wenn es uns nicht gut geht, wenn es uns peinlich wird, dann will er helfen. Mit seinen Maßstäben. So, wie Jesus diese damals den Jüngern erläutert hat, geschieht es auch heute im Gottesdienst für alle, die „von Konstanz bis Dußlingen“, das ist in etwa die Süd-Nordachse der vier Bezirke - angereist sind, so G. Kaltschmitt.
Wie rede und, heutzutage, da man sich in den sozialen Netzwerken bewegt, auch wichtig, schreibe ich über andere? Beschuldige ich mit meinen Kommentaren den Nächsten? Bin ich Ankläger oder Verteidiger? Verurteilen, andere schlecht aussehen lassen entspricht nicht göttlichem Wesen. Jesus` Frage ernst nehmen: Was habt ihr verhandelt unterwegs? War es wichtig oder nicht? Die eigene Größe in den Vordergrund stellen? Oder, besser, sehen, dass der andere, über den der Stab gebrochen werden soll, es nicht einfach hat in seinem Leben. Ihn verteidigen. Mit einem einzigen Satz darüber zeigt sich die eigene Einstellung – Anwalt oder Richter.
Wie denke und rede ich über meine Kirche? Sehe ich darin nur eine Institution, in der Manches besser laufen könnte, was sicher hier und da der Fall sein kann. Aber erkenne ich, dass sie der Ort ist, an dem Gott mir begegnen und mich fühlen lassen will, dass er mich lieb hat? Die Kirche wird getragen von unvollkommenen Menschen. Und trotzdem ist sie das Werk des Herrn.
Wie viel Kraft setze ich ein zur Selbstdarstellung, für meine „Heldentaten“? Kann ich mich nicht auch mal zurücknehmen und dem anderen vermitteln, du hast mir leid getan, ich habe an dich gedacht. Wer steht im Vordergrund, ich oder der andere? Aller Diener sein, das bedeutet im Geistigen die Art, wie ich mich meinem Nächsten zuwende. Neid oder Bewunderung, ihn niedermachen oder ihn gelten lassen. Ständig miteinander im Wettstreit liegen oder ist der Friede es mir wert, auch mal zurückzustecken. Sehe ich den anderen als meinen Freund oder als meinen Konkurrenten? Die Wertschätzung einer schönen, friedliche Atmosphäre sollte es mir leicht machen, die richtige Entscheidung für mein Verhalten zu treffen.
Zum Zeitpunkt der Diskussion darüber, wer der Größte ist, waren die Jünger fast drei Jahre lang täglich mit Jesus zusammen gewesen. Und verstanden ihn nicht, sonst hätten sie nicht so gesprochen. „Der überwiegende Teil von uns Gottesdienstbesuchern hier ist sein gesamtes Leben mit Jesus` Lehre vertraut gemacht worden: Sonntagsschule, Unterrichte, viele Gottesdienste – Haben wir ihn wirklich verstanden? Ob das so ist, das zeigt sich in unserem Verhalten.“
Der Bischof nutzte die Gelegenheit, die fast vollständig anwesenden Vorsteher der vier Bezirke und ihre Vertreter vorzustellen – die aber sämtlichst keinen Beitrag zum Gottesdienst leisten würden. Deren Bedauern darüber hielt sich sichtlich in Grenzen. Stattdessen sollten, einem Wunsch der Jugendlichen entsprechend, jüngere Amtsträger etwas beitragen. Zuerst „traf“ es den Vorsteher der Gemeinde Rottweil, Evangelist Steffen Schanz. Alles Bestreiten, noch in die Rubrik „jugendlich“ zu gehören, half ihm nichts. „Meinst du mich, Herr?“, griff er zu Beginn den Text des gerade verklungenen Chorlieds auf (aus Chorbuch Nr. 388, Text und Musik Daniel L. Schutte, geb. 1947). „Ja, du bist gemeint. Es geht um deine Aufgaben.“ Darum, das Gemeinsame und nicht sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Darum, ein Segen für andere und sich selbst zu sein, eine herausfordernde Aufgabe. Alles eigene Tun soll Gottes Geistes Frucht sein. Und, wie in der Natur auch, muss eine Frucht Verbindung zur Quelle haben.
Nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen – die beiden zuerst aufgerufenen Diakone waren gar nicht anwesend – bekamen dann zwei weitere Amtsträger die Gelegenheit, am Altar für Jugendlichkeit zu sorgen. Der erste stellte die Frage: Wie geht es dir heute morgen? Gut, eine schöne Woche gehabt, alles lief wie am Schnürchen? Nicht mit dem falschen Fuß aufgestanden oder gar mit viel Schwung mit der Bettkante kollidiert? Manchmal im Alltag kann so eine „Bettkante“ ganz schön weh tun. Da kommt schnell die Frage nach dem Warum, was soll das? Dann trotzdem seinen Glauben leben. Da gibt es jemanden, der uns Mut macht. „Gebt nicht auf. Holt euch den Mut!“
Danach wurde es für Zugereiste etwas schwieriger, denn der folgende Beitrag war vom Dialekt her nur für Einheimische unproblematisch. Aber deshalb oder gerade deshalb nicht weniger schwungvoll. Der Diakon ging noch einmal auf Jesus` Jünger damals ein. Die hatten das Privileg, mit dem Sohn Gottes sprechen zu dürfen. Und dann haben die nichts Besseres zu tun als sich zu streiten. Wie oft steigert man sich in Kleinigkeiten hinein. Wenn die Liebe fehlt, der Ärger regiert, dann kann man im Geistigen nichts bewirken. Dienen – das hat heute einen eher negativen Touch. Den der Unterwürfigkeit. Aber darum geht es nicht. Vielmehr darum, aus eigenem Willen, eigener Entscheidung und Überzeugung heraus das tun, was nach Jesus` Worten der macht, der der Größte ist. Dienst kann eine Last sein, aber sie wird leichter, wenn sie sich auf mehrere Schultern verteilt. Da stemmt man mehr, als wenn man sich allein etwas zusammenbastelt. Und sich nicht verzetteln mit allem, was so zu tun ist. Da könnte sonst für den lieben Gott kaum noch Zeit bleiben. Niemand kann zweier Herren Diener sein, wurde an die Bergpredigt angeknüpft.
Nach dem Gottesdienst waren alle eingeladen, sich vom für seine gute Arbeit berühmten Ofterdinger Catering-Team verwöhnen zu lassen, wie der Bischof es mit der Vorfreude auf kommende Genüsse zu würdigen wusste. Alles perfekt organisiert, Lkw, Weckle mit Schweinehals bzw. Käse (für die Vegetarier) gab es und Vieles mehr. Ein herzliches Dankeschön an die Gastgeber dafür. Niemand musste hungrig oder durstig den zum Teil recht weiten Heimweg antreten.
Für den seelischen Reiseproviant hatte zuvor der Chor mit seinem Schlusslied gesorgt (Chorbuch Nr. 365, Volkslied aus Irland):
„Möge die Sonne dir scheinen und der Wind dir in den Rücken wehn. Möge Regen fallen sanft auf deine Felder und Sonne auf dein Angesicht. Und bis wir uns wiedersehn, halte Gott dich fest in seiner Hand.“