„Der Meister ist da und ruft dich.
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In Herrenberg war der stellvertretende Leiter des Bezirks Tübingen, Werner Lampprecht, zuständig für die Durchführung des Konfirmationsgottesdienstes im Gäu. In Tübingen hatte diese Aufgabe Bezirksvorsteher Klaus von Bank übernommen. Insgesamt waren es neun Konfirmanden und Konfirmandinnen im Bezirk Tübingen. Von der Konfirmation in Herrenberg berichten viele Bilder, weil es darüber keinen Text gibt.
Große Ruhe war eingekehrt in der Tübinger Kirche, als kurz vor Beginn des Gottesdienstes drei Mädchen und drei Jungen mit ihrer Konfirmandenlehrerin, alle blumengeschmückten Revers, in eine volle Kirche kamen, begleitet von gewaltigen Orgelklängen.
„Der Tag der Konfirmation ist kein turnusmäßiges Ereignis, alle Jahre wiederkehrend wie Weihnachten und sonstige Feiertage im Kirchenjahr“, begann K. von Bank. Vielmehr geht es um eine besondere Begegnung mit Gott. Und die gibt es nicht automatisch, nur weil man gerade vierzehn Jahre alt geworden ist. Der Bezirksvorsteher schilderte detailliert alles, was zuvor an Vorarbeit geleistet worden war. Von der Vorsonntagsschule bis zum speziellen Konfirmandenunterricht, der ca. ein Jahr vor dem heutigen Tag begonnen hatte. Ein Unterricht der vergangenen Jahre baute auf dem anderen auf. „Und jetzt ist der Punkt erreicht, an dem ihr selbst die Verantwortung für euer Glaubensleben übernehmt. Ein Versprechen abgebt, das jeden Tag wieder neu unter Beweis zu stellen ist. Dafür gibt es nicht den idealen Zeitpunkt, an dem die Gefahr, wortbrüchig zu werden, gen null ginge. Ein Leben lang muss es bewahrt werden. Was habe ich versprochen, was gilt es zu halten? Eine Dauerfrage. Das Tröstliche dabei – mit dem heutigen Tag ziehen sich eure Eltern nicht zurück. Sie werden immer für euch da sein, für euch beten, auch wenn ihre Erziehungsaufgabe beendet ist.“
„Und als sie das gesagt hatte, ging sie hin und rief ihre Schwester Maria heimlich und sprach zu ihr: Der Meister ist da und ruft dich.“ (Joh 11, 28) Dieses Kapitel des Johannesevangeliums ist überschrieben: Die Auferweckung des Lazarus. K. von Bank schilderte das damalige Geschehen, das sich kurz vor der Passionszeit ereignet hatte. Maria, Marta und Lazarus, wohnend in Betanien. Drei Geschwister, bei denen sich Jesus immer wohlgefühlt hatte. Und nun kam Marta ihm schon vor ihrem Dorf mit der Nachricht entgegengelaufen, der Bruder sei gestorben. Sie sprach mit Jesus und dann rief sie heimlich die Schwester: Der Meister ist da und ruft dich. Ein Ruf, der auch heute an jeden Einzelnen aus der Gruppe der Konfirmanden ergeht.
Jesus, der Meister. Der Demütige und der Sanftmütige. Der sein Leben lehrte und seine Lehre lebte. Der sich nicht wie manche Menschen auf schöne Worte beschränkte. Meister, so sprachen ihn selbst Schriftgelehrte und Pharisäer an. Und trotzdem fassten sie nach der Erweckung des Lazarus den Entschluss, Jesus zu töten. Aber Maria und Marta in ihrer Trauer um den Bruder wussten eins ganz sicher: Wäre Jesus da gewesen, der Tod hätte keine Macht gehabt. Ein Zeugnis ihres festen Glaubens an den Gottessohn.
An die Konfirmanden gewandt, ihre besondere Lebenssituation berücksichtigend, hieß es weiter: Jetzt, im Alter von vierzehn Jahren, ist nichts entschieden. Berufs- und Partnerwahl, noch ist alles offen und viele Prüfungen gilt es noch zu bestehen. Kampf, Enttäuschungen, Niederlagen – da kommt schnell die Frage auf, wo ist Gott? Dessen Segen ich doch bekommen habe. Dann gilt es, sich den Glauben der beiden Schwestern damals vor Augen zu halten. Sich nicht zurückzuziehen. Hätten die beiden damals das getan, wäre das Ganze anders ausgegangen. Es geht um einen lebenslangen Lernprozess, der nicht gleichzusetzen ist mit der Anhäufung von Wissen. Man bekommt es mit völlig unterschiedlichen Menschen zu tun und muss mit jedem auskommen, weil man sie sich nicht immer aussuchen kann. Aber das macht den Menschen nicht dümmer, im Gegenteil. Und immer gilt es, Jesus` Nähe zu suchen. Wenn er ruft, gibt es keinen Grund zu sagen, ich komme nicht.
Moderne Kommunikationsmöglichkeiten können weder menschliche noch göttliche Nähe ersetzen. Der himmlische Vater begegnet uns in den Sakramenten. Davon nur bei Gelegenheit Gebrauch machen, wenn es einem gerade mal so passt? Nein, wie Marta und Maria aus der Liebe heraus Gott suchen und ihn ins Vertrauen ziehen. Jesus damals machte schon vor dem Ort Halt. Er wollte sehen, ob die Schwestern zu ihm kommen würden und wurde nicht enttäuscht. Nähe zu Jesus halten bedeutet auch, Nächstenliebe zu üben. Der Gottessohn schätzt hoch ein, was einem „seiner Geringsten“ Gutes getan wird. „Kommt zu ihm in allen Lebenslagen. Bildet euch nicht ein, wenn alles gerade wunderbar läuft, das sei dem eigenen Können zu verdanken.“ Der Meister ruft dich – Aus der Liebe heraus sich entscheiden: Wie Gott es will, so soll es sein und bleiben. Wenn er es will, dann bin ich bereit für ihn. „Seine Liebe ist wie die der Eltern eine feste Größe in eurem Leben. Da wankt und wackelt nichts. Sucht Gottes Allmacht und nehmt seinen Rat an. Das soll euch leiten, wenn sich in ein paar Jahren Weichenstellungen ergeben und lebenswichtige Entscheidungen zu treffen sind.“
Hirte Arndt Bayer, Gemeindevorsteher in Tübingen, wusste, dass „Meister“ und „Schüler“ im heutigen Sprachgebrauch mit Lehrer und Schüler gleichzusetzen sind. Aus der einen und, wie mancher Erwachsener qua Beruf inzwischen auch aus der anderen Perspektive, ist jede/r zwangsläufig Experte auf dem Gebiet dieses gelegentlich schwierigen Verhältnisses. Der Lehrer ruft dich, das muss nicht immer positive Gefühle hervorrufen. Jesus damals hat sich seine Schüler herausgesucht, z. B. Petrus. Der das gar nicht verstand, aber das war sowieso nicht nötig. Ein Grundschüler versteht auch nichts von dem, was in späteren Jahren in der Schule zum Lehrstoff gehört. Muss in seiner Ausbildungsstufe auch gar nicht sein. Er wird in alles, was später kommt, hineinwachsen. Kein Grund, schon vorab in Bausch und Bogen abzulehnen, was sich einem noch gar nicht erschließen kann.
Da hat man viele Jahre lang einen Lehrer. Eigentlich mag man sich wechselseitig. Und dann passiert es, dass man eine Klassenarbeit total versemmelt. Kommentar des Lehrers, abgesehen von der Benotung mangelhaft bis ungenügend: Ein starkes Stück! Das trifft und lässt ins Grübeln kommen, was hast du da eigentlich gemacht? Jesus kann unseren Blackout richtig einordnen. Er ist nicht kleinlich. Aber, bitte, auch in Durststrecken das Glaubensziel nicht aus den Augen verlieren. Warum Glaube, eine Kirche…Jesus will mir den Weg zum ewigen Leben zeigen. Ich bin nie allein. Er und meine Glaubensgeschwister sind immer bei mir. Trotz allem, was sein kann.
Evangelist Lothar Dopf, Gemeindevorsteher in Rottenburg, ging noch einmal auf das damalige Geschehen ein. Eilig kam die von Marta gerufene Maria zu Jesus gelaufen (Joh 11, 29). Mit der Schule, die die Konfirmanden noch nicht einmal abgeschlossen haben, findet nicht alles schon sein Ende. Vielmehr werden sie von der Gesellschaft gebraucht in allen möglichen Berufen und Funktionen. Diese Stellen mögen heute noch besetzt sein, aber wie sieht es in zwanzig Jahren damit aus? Das gilt auch innerhalb der Kirche – die braucht dich. Dirigent, Jugendleiter, Jugendchordirigentin, sie alle brauchen dich. Das bedeutet, Beziehungen aufzubauen, die so tragfähig sind, dass ein gelegentlicher Blackout sie nicht tangieren kann. Ihr seid nicht allein. Ihr werdet geliebt. Ihr könnt getrost mit freudigen Schritten in eure Zeit als Jugendliche gehen.
„Kommt her zu mir. Ich will euch erquicken.“ Mit diesen Worten des Gottessohns lud der Bezirksvorsteher zur Feier des heiligen Abendmahls ein. Jesus ist der, der die Sünder zur Buße ruft. Und der sie erretten wird.
„Schön, dass ihr da seid“, begrüßte ein sichtlich zufriedener Bezirksvorsteher die jungen Christen, als sie vor den Altar in der Tübinger Kirche getreten waren. Durch die bunten Glasfenster dahinter schien eine strahlende Aprilsonne und sorgte schon äußerlich für einen Platz zum Wohlfühlen. Dazu dürfte auch das Bewusstsein beigetragen haben, hinter mir, da stehen jetzt meine Familie, meine Freunde, eine große Kirchengemeinde. K. von Bank hatte zuvor den Konfirmandenbrief 2015 von Kirchenpräsident Neuapostolische Kirche International und Stammapostel Jean-Luc Schneider verlesen: Der Meister ist da und ruft dich, so auch dieser Gruß an die Konfirmanden.
„Ich glaube – ist schnell daher gesagt. Glauben zeigt sich im Handeln.“ Im Alltag „hängt man schnell in den Seilen“. Der Glaube bröckelt…eine lebenslange Herausforderung ist es, ihn zu bewahren. Ja, Spaß muss sein. Aber es gibt Punkte, da braucht es Ernsthaftigkeit. Da sollte es dann heißen, nein, da mache ich nicht mit. Und gelegentlich haben Eltern in solchen Fällen dann auch die Funktion der Spaßbremse. Geht nicht anders.
An diesem Tag steht ein Versprechen im Mittelpunkt. Nicht immer leicht, es einzuhalten. Das weiß auch Jesus. Aber deshalb darauf verzichten? Andererseits – eine lockere Absichtserklärung soll das Konfirmationsversprechen auch nicht sein.
Dann wurde es ganz still in der Kirche. Sechs junge Christen gelobten, Gott treu zu sein. Nach dem Konfirmationssegen, der Austeilung des heiligen Abendmahls, Schlussgebet und -lied, vom gemischten Chor gesungen, mit dessen Text auch dieser Bericht enden soll, wurde es wieder ganz lebendig:
Alle waren eingeladen, sich von den jungen Glaubensgeschwistern zu verabschieden sowie gute Wünsche und anderes loszuwerden (der pragmatische Bezirksvorsteher hatte darauf hingewiesen, dass jeder Konfirmand mit seinem Stuhl hinter sich auch über ausreichend Ablagefläche verfügte).
„Dein Wort und deine Gnaden, o ew`ger Vater du, sind Heil für meinen Schaden und Rettung immer zu. Wie herrlich ist dein Wille in deiner Liebe Bund, wie hold des Friedens Stille in dieser Segensstund!“
(neuap. Chorbuch Nr. 297, Text Karl Müller, 1914 – 2000)