Mit einer gemeinsamen „Chorübungsstunde“ hatte es am Sonntagmorgen in der Tübinger Kirche begonnen: Jugendliche aus den beiden Bezirken, aus ganz nah und etwas ferner, waren zusammengekommen, um gemeinsam einen Gottesdienst zu erleben.
Dessen Leiter war der Tübinger Bezirksvorsteher Klaus von Bank. Der durfte sich über eine gut gefüllte Kirche freuen, denn auch die Mitglieder des Jungen Chors Süddeutschland hatten sich im Mittelschiff, in dem der Chor saß, eingereiht. Der Junge Chor hatte, nicht zum ersten Mal, an diesem Wochenende in Tübingen geprobt, wo er auch schon einmal ein Konzert gegeben hatte. Die Glaubensgeschwister wollen in diesem Jahr am 13. und 14. 12. in Karlsruhe und Heidelberg Benefiz-Weihnachtskonzerte geben, die unter der Schirmherrschaft von Finanz- und Wirtschaftsminister Baden-Württemberg, Nils Schmid, stehen (weitere Informationen: Junger-Chor-sued.de). Nein, eine Übungstunde wurde es nicht ganz. Rechtzeitig vor dem Gottesdienst gab es für die SängerInnen im Gartengeschoss der Kirche die dringend notwendige kleine Stärkung…Übrigens auch nach dem Gottesdienst (eine etwas größere), denn mangelnde Gastfreundschaft soll den Tübingern niemand vorwerfen können.
Mit Orgelpräludium und -begleitung, Jan-Thilo Bayer, erklang es zu Beginn gewaltig und trotzdem melodisch gesungen von jungen Stimmen „Preis und Anbetung sei unserm Gott!“ (Neuap. Chorbuch Nr. 152, Text nach Psalmworten). Ein furioser von der Orgel gespielter Schluss – der Zuhörer hatte den Eindruck, da wurde ratzfatz noch einmal von unten nach oben über die Tastatur gewutscht – kam auch noch, den der Komponist vermutlich nicht vorgesehen hatte. „Das ist eben so im Jugendgottesdienst,“ lautete der Kommentar eines alles andere als unangenehm davon berührten Bezirksvorstehers. Gemeinsames Musizieren macht Freude. Er werde die in die Woche mitnehmen. Wenn man dann mal im Alltag nicht ganz so gut drauf ist - da sei er sicher - werde man sich beim Erinnern dieses Sonntags gewiss besser fühlen. „Ein Gottesdienst ist nicht vorbei, wenn er, zeitlich gesehen, sein Ende gefunden hat. Bis zum nächsten kann man ihn sich bewahren und auf den kommenden sich freuen.“
Thema des Gottesdienstes war Jesus` Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10, 36 und 37). „Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!“ Hinlänglich bekannt. Der Priester, der Levit, die vermeintlich gute Gründe haben, sich nicht um einen Verletzten zu kümmern. Akteure, die Jesus für sein Gleichnis nicht zufällig ausgewählt hat. Der Priester, hoch geschätzt, mit Privilegien und Vorbildfunktion. Der Levit, eine Art Diakon seinerzeit, auch jemand, der Ansehen genoss. Und dann der Samariter. Kein rechtgläubiger Jude, weil diese Volksgruppe nur das mosaische Gesetz als von Gott gegeben ansah und keine anderen Texte. Mutig von Jesus, genau einen Angehörigen dieser angeblich minderwertigen Gruppe in den Vordergrund zu stellen. Dem Gottessohn ging es darum, die Botschaft des Evangeliums so zu vermitteln, dass sie begreifbar wurde. Man sollte, man könnte…so lassen sich Ansprüche auf Nächstenliebe formulieren, aber nicht praktizieren.
Wer ist der Nächste – immer der, der in Not ist. Mit schlechten Nachrichten aus aller Welt wird man heute überall und jederzeit überflutet. Sollen sich andere drum kümmern. Man selbst kann eh nichts gegen das ganze Elend tun. Kriege, Seuchen, Katastrophen. Kann ich was dafür? Kann ich was für die Existenz des Teufels? Aber – jetzt ist unser Nächster in Not, der Schulkamerad, Kollege, Nachbar, Familienangehörige. Da haben wir Möglichkeiten. Egal, ob Glaubensbruder/-schwester oder nicht: Wer in Not ist, braucht Barmherzigkeit. Tun wir Gutes, egal, wem es zugute kommt. „Dein Nächster braucht dich, dann sollst du helfen, wie Jesus es vorgelebt hat.“ Schwerpunkt dabei ist nicht, dafür bei anderen gut anzukommen. Anspruch und Wirklichkeit sollen zusammenpassen. Das leben, dann erfährt unsere Umgebung, was Inhalt unseres Glaubens ist.
Der stellvertretende Leiter des Bezirks Freudenstadt, Claus Morlok, verwies darauf, dass es im Gottesdienst an diesem Tag nicht um eine „Geschichtsstunde“ gehe mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Vielmehr um eine große, aktuelle Aufgabe. Not sehen, hinsehen, egal welche Nationalität und/oder Hautfarbe dieser mein Nächster hat. Den Samariter damals jammerte das Opfer des Überfalls. „Es traf ihn in den Eingeweiden“, wurde eine andere Übersetzung des Bibeltextes zitiert. Anderer Not muss uns bis ins Innerste treffen. Für uns zählen nicht nur im Rahmen der Kirche innere Werte. Hilfe leisten, manchmal vielleicht nur ein gutes Wort dem anderen geben, dort, wo Gott uns hingestellt hat.
K. von Bank setzte den Gedanken fort: Überall, jeder Mensch, egal, wie er ist, er gilt etwas vor Gott. Nur aufgrund seiner Existenz, der Tatsache, dass es ihn gibt. Letzteres allein macht ihn schon wertvoll.
Markus Haist, auch aus dem Bezirk Freudenstadt angereist und ebenso dessen stellvertretender Leiter, stellte noch einmal gegenüber: Anspruch und Wirklichkeit, Theorie und Praxis, Soll und Haben…Es geht dabei ums ewige Leben und damit letztlich um alles. Sich selbst davon nicht ausnehmend hieß es, die Halbwertzeit dessen, was man im Gotteshaus gehört hat, kann gegen Null sein, man hat mit dem dreifachen Amen der Liturgie alles vergessen, was man gehört hat…So, bitte, nicht. Vielmehr sich vornehmen, sich in eine Situation hineinfühlen zu wollen, demütig sich zum anderen hinunterbeugen. Und wollen allein reicht nicht – man muss es auch tun!
Arndt Bayer, vormals Leiter des Tübinger Bezirksjugendchors – dazu noch später etwas – und jetzt Hirte und Gemeindevorsteher in Tübingen, gab in seinem Beitrag zum Gottesdienst zu Beginn ein Rätsel auf, über das er selbst als Lehrkraft in einer Berufsschule gestolpert war. Am Montagmorgen begrüßten sich die Schüler regelmäßig mit „Jolo“ (phonetisch). Sehr merkwürdig. Schließlich fragte er, was das soll. Er erfuhr, es sei die Abkürzung von „ Y ou o nly l ive o nce“. Du lebst nur einmal, gilt fürs natürliche wie auch fürs Glaubensleben. Wie sein Leben im Umgang mit anderen gestalten – nicht nur nach dem äußeren Schein gehen, kein Schubladendenken. In jeder Gruppe gibt es Außenseiter, die als „uncool“ empfunden werden. Wenn ich mich mit denen befasse, dann bin ich das auch, uncool? Nein, Barmherzigkeit leben, sich dem anderen zuwenden, sich zu ihm hinabbeugen. „YOLO – in dem Sinn: Amen!“
Jan-Thilo Bayer, dieses Mal am Klavier, weiß auch um die leiseren Töne…Der Chor sang mit Instrumentalbegleitung als Bußlied vor der Feier des heiligen Abendmahls „Heilig, heilig, heilig ist der Herr…“ (aus der Deutschen Messe von Franz Schubert (1797 – 1828), neuap. Chorbuch Nr. 144) und es wurde beim gerade noch zu vernehmenden Nachspiel auf dem Klavier sehr still in der Kirche.
Veränderungen im Kirchenbezirk Tübingen wurden nach dem Gottesdienst mitgeteilt: Arndt Bayer wird als Leiter des Jugendchors von Friderike Huber „beerbt“, kein Nachfolger, aber eine Nachfolgerin freute sich ein zufriedener Bezirksvorsteher bei deren Vorstellung. Es geht weiter mit dem Chor, eine gute Nachricht.
Ganz zum Schluss trat der „Junge Chor“ nach vorn und in Aktion:
„Herr Gott, du bist unsere Zufluchtt für und für… Ehe denn die Berge erschaffen wurden bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit… Halleluja“
verklang es ganz leise in der wunderschönen Tübinger Kirche, durch deren bunte Glasfenster trotz angesagten Novembergraus sich ein Sonnenstrahl wagte und in der man in dem Moment ein Blatt Papier hätte fallen gehört…bis sich verdienter Beifall zu regen wagte.