„Weise mir, Herr, deinen Weg,…“ (aus Nr. 108, neuap.
Chorbuch, Text nach Ps 86). Diese Worte des Psalmisten aus dem zu Beginn des Gottesdienstes vom gemischten Chor vorgetragenen Lieds griff G. Kaltschmitt auf. „Kenne ich den Weg eigentlich, der in die Zukunft führt? Nicht einmal die nächsten drei Minuten,“ gab der Bischof die Antwort. Das, was kommen wird, ist dem Menschen im Prinzip und im Detail verschlossen. Aber Gott hat dem Menschen die Zukunft mit seinem dorthin führenden Heilsplan aufgeschlossen. Deshalb ist der himmlische Vater der richtige Adressat für die Bitte um Wegweisung.
„Herzlich willkommen im Gotteshaus“, hatte G. Kaltschmitt die Gottesdienstbesucher geheißen, zu denen neben den Tübingern auch die Glaubensgeschwister aus den Gemeinden Pfrondorf und Ammerbuch-Pfäffingen zählten. Das heißt die, die noch nicht im Urlaub waren oder ihn schon wieder hinter sich hatten. In Tübingen gehe das an mit dem herzlich willkommen heißen. Hier sei er, G. Kaltschmitt, nicht „auswärts“, sondern in seinem eigenen kirchlichen Zuhause. „Ich möchte `herzlich willkommen` sagen als der, der formuliert, was der liebe Gott mitteilt, damit wir aus seinem Geist hören und lernen.“
Ein Text aus dem Brief des Paulus an die Philipper (1, 6) bestimmte den Inhalt des Gottesdienstes:
„und ich bin darin guter Zuversicht, dass der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird`s auch vollenden bis an den Tag Christi Jesu.“
Etwas anfangen und das zu Ende bringen – eine besondere Eigenschaft Gottes, dem Menschen nicht immer gegeben. Paulus ist sich ganz sicher: Gott wird das tun, sein Werk zu Ende führen. Auch wir können uns dessen sicher sein. Warum? Er ist der einzige, allmächtige Gott, dessen Größe nur in Ansätzen zu erkennen ist. Unangefochten wird er sein Werk vollenden.
Jesus sprach von sich, er erfülle seinen Auftrag als das „A“ und „O“, der Anfang und das Ende. Kein Stehenbleiben auf halber Strecke. Gott, an den wir glauben, ist Liebe. Von der kann uns nichts scheiden, wenn wir bei ihm bleiben. Seine Kirche ist sicher: Petrus sprach vom Fels, den die Pforten der Hölle nicht überwältigen werden. Das alles sind Gewissheiten, so dass wir uns Paulus` Zuversicht gut anschließen können.
“Was ist das `gute Werk`, von dem Paulus spricht?“ Es ist das des Glaubens. Ich kann von etwas überzeugt sein, ohne es zu sehen. Weil ich darüber aus sicherer Quelle belehrt wurde und spüren kann, das ist wahr. Ohne Glaube geht das nicht. Es braucht den Glauben an Gott, den Vater, Sohn und Heiligen Geist und die Sendung seiner Kirche heute. Was gilt es zu tun? Dranbleiben, auch wenn nicht alle Fragen beantwortet werden können. Mit menschlichen Möglichkeiten lässt sich nicht alles erfassen. Aus dem Glauben wird Schauen werden. Diese Tatsache wollen wir erleben. Es ist das Werk des Geistes, das Gott vor 2.000 Jahren begonnen hat, durch die Taufe mit Wasser und die mit dem Heiligen Geist. Der in alle Wahrheit leitet, von einer in die andere.
Das vollzieht sich in Schritten, wie die Geschichte der Kirchenentwicklung zeigt. Als biblisches Beispiel dafür verwies G. Kaltschmitt auf die Heilung eines Blinden. Der wurde durch Jesus´ Tun nicht ad hoc sehend. Vielmehr legte der mehrfach seine Hand auf die Augen des Kranken, bis dieser alles klar erkennen konnte, sehend war. Nicht etwa deshalb, weil der Gottessohn nicht die Fähigkeit gehabt hätte, den Blinden sofort vollends zu heilen. Vielmehr ein Beispiel, das zeigen soll, dass auch der Glaube sich schrittweise entwickelt: Wenn ich weiter glaube, werde ich immer klarer sehen können.
Das Werk des Heiligen Geistes ist ein schrittweiser Prozess der Entwicklung. Im Alten Testament war das Volk Israel das auserwählte. Jesus` Hilfsplan ist breiter aufgestellt: Ein Volk aus allen Völkern. „So hat Gott auch dich und mich ausgewählt, damit wir Früchte des Herzens bringen: Liebe zu Gott und dem Nächsten. Was Gott begonnen und entwickelt hat, das steht im ständigen Kampf gegen das Böse. Gott hat es so gewollt. Schon Jesus kämpfte sein ganzes irdisches Leben lang gegen den Teufel an. Der Gottessohn blieb Sieger über Hölle und Tod. Auch wir müssen den Kampf aufnehmen. Den gegen das Böse in uns selbst. Der gehört zum Leben dazu. Das Wort Gottes ist uns dabei der Spiegel, der zeigt, wo und an welcher Stelle es mit uns nicht zum Besten steht. Zum Beispiel gegen Neid und Unversöhnlichkeit ankämpfen. Wenn jemand keinen Kampf zu führen hat, sollten bei ihm alle Alarmglocken anschlagen. Nobody is perfect. Wer seine Defizite nicht erkennt, kann nicht zur Vollendung kommen. Im Brief an die Epheser nimmt Paulus den Körper als Beispiel: Ein Glied wächst an das andere. Ein interessantes Bild, das zeigt, in einer Gemeinde sei einer dem anderen behilflich, zur Vollendung zu kommen. Tue ich da etwas, das dem anderen nützt, bete ich für ihn? Gott hat etwas Wunderbares angefangen, das noch nicht vollendet ist. Das wird mit der Wiederkunft Christi geschehen, der die Seinen zu sich nehmen wird.
Der noch „neue“ Vorsteher der Gemeinde Tübingen, Arndt Bayer, sagte, er habe beim Textwort „…und ich bin darin guter Zuversicht…“ innerlich schmunzeln müssen. Neudeutsch heißt es insoweit gern, man sei „voll optimistisch“. Das mit dem Optimismus wird gern überstrapaziert…beruflich gibt es angeblich keine Probleme, sondern nur Herausforderungen. Ist das bei Gott genauso? Die Theologie beschäftigt sich mit dem christlichen Glauben seit etwa 2.000 Jahren. Erkenntnisse gibt es nur bis zu einem gewissen Grad. Es bleibt die Gretchenfrage, wie halte ich es mit dem Glauben? Lebe deinen Glauben, dann erlebst du ihn auch. Zweckoptimismus hilft da nicht. Vielmehr das Wissen, der Glaube: Gott ist der Allmächtige. Der Glaubende sucht zu verstehen, muss aber immer wieder feststellen, es gibt Probleme im Leben. Aber er weiß, dass sie Stufen sind auf seinem Weg zur Vollendung.
Carsten Dehner, Gemeindeevangelist in Tübingen, sah eine besondere Symbolik beim Blick vom Altar auf das Fenster in der Rückwand des Kirchengebäudes: In das Glas sind die Buchstaben A und O „eingearbeitet“, Alpha und Omega, Symbole für Anfang und Ende. Gott beginnt und führt zu Ende. Das Volk Israel – erst die ägyptische Gefangenschaft, aus der Gott es zu befreien wusste. Der es dann auf wunderbare Weise durch die Wüste führte. Und dann verlor man den Blick für Gottes Größe, es war zu heiß, das Essen taugte nicht mehr, wären wir doch in Ägypten geblieben…Das ist menschliches Denken. Letztlich durften schon damals die, die Glauben behielten, das Gelobte Land erreichen. Das gibt auch heute Zuversicht: Gott wird durch alle Kämpfe hindurch sein Volk ans Ziel bringen.
Für Gott ist kein Problem zu groß, griff G. Kaltschmitt den Gedanken auf. Die Sicherheit möge dieser Gottesdienst geben. Menschlich gesehen gibt es andere Erfahrungen. Da reicht die Kraft nicht. Die Zeit geht aus. Es bleiben Dinge unvollendet. Das ist bei Gott anders. Er wird sein Werk vollenden, sein Volk in eine neue Welt führen. Das heißt, bei Gott sein zu können, das Höchste, was ein Mensch erreichen kann. Dazu bedarf es der Gnade, leitet der Bischof zur Feier des heiligen Abendmahls über. Er verdeutlichte deren Bedeutung mit einer Geschichte, von der Apostel Martin Schnaufer mal gesprochen hatte: Vater und Sohn sind mit einem Pferdegespann unterwegs. Ein Felsbrocken versperrt den Weg. Der Sohn müht sich mehrfach vergeblich, das Hindernis wegzuräumen. Alles habe er versucht, erklärt er dem Vater. Dessen Antwort: Nein, du hast mich noch nicht um Hilfe gebeten. „Wenn uns Manches auf der Seele liegt, daran denken, Gott ist doch da. In der Geschichte half der Vater mit – so wollen wir das heilige Abendmahl erleben. Wir kommen nicht aus unserer Schwäche heraus. Können selbst nicht die kleinste Sünde beseitigen. Aber wenn wir Gott darum bitten, dann hilft er.“
Das bestätigte der gemischte Chor in seinem Schlusslied: „Zu dir, mein Gott, steht mein Vertrauen,…“ (neuap. Chorbuch Nr. 329, Textdichter unbekannt).
Zuvor hatte G. Kaltschmitt, dem immer noch die Freude an seinem „Heimspiel“ anzumerken war, allen einen wunderschönen Sonntag gewünscht. Für den, der wie der Chronist das Vergnügen hatte, durch den noch sommerlichen Schönbuch auf wegen Sommerferien recht leeren Straßen im Sonnenschein nach Haus zu fahren, ging der Wunsch ganz schnell in Erfüllung.