…nur die Spitze des Eisbergs… Mindestens 30 Jugendliche, viele Gemeindevorsteher, Bezirksvorsteher Klaus von Bank und seine beiden Stellvertreter fanden sich am Samstagnachmittag zu der von Priester Erich Maier, Gemeinde Öschelbronn, organisierten „Jugendstunde vor Ort“ in der dortigen neuapostolischen Kirche ein.
Ein trüber, feuchter Julitag, aber schlechtes Sommerwetter, was ist das schon. Es gibt viel, viel schlimmere Schicksale, das wurde an diesem Samstagnachmittag mehr als deutlich. K. von Bank sprach in der Kirche ein Gebet. Es gehe nicht darum, mit den Vorvätern oder sogar „Groß“-Vorvätern darum zu rechten, ob sie vom Unrecht, das seinerzeit anderen angetan wurde, wussten, wissen konnten, es nicht wissen wollten…vielmehr darum, dass es den Opfern möglich sein möge, Frieden zu finden, den berechtigten Groll im Herzen überwinden und das Heilsangebot Gottes, das auch an die Seelen in der jenseitigen Welt gerichtet ist, annehmen zu können. Das Datum dieser „Jugendstunde vor Ort“ war mit Bedacht ausgewählt worden: Neuapostolische Christen weltweit gedenken im Gottesdienst am ersten Sonntag im Juli in besonderer Fürbitte entschlafener Seelen.
Auf dem Programm standen die Besichtigung der KZ-Gedenkstätte im Rathaus Gäufelden-Tailfingen sowie des Mahnmals, das sich dort befindet, wo während des Zweiten Weltkriegs ein KZ-Außenlager eingerichtet war. Es waren zu viele Besucher für die Räumlichkeiten in der Gedenkstätte. Also ging es umschichtig nacheinander in zwei Gruppen ins Rathaus und zum Mahnmal. Nein, und entgegen den Befürchtungen eines Teilnehmers überwog die Anzahl der Jugendlichen, so dass die anderen Teilnehmer zwar etwas das Durchschnittsalter ansteigen ließen, keineswegs aber optisch der Eindruck entstehen konnte, eine Seniorengruppe sei unterwegs. Im Museum erwartete die Besucher ein Guide vom Verein „Gegen Vergessen-Für Demokratie e. V.“, dem es spürbar am Herzen lag, das zu vermitteln, was ihm wichtig ist: Aus dem Schlimmen der Vergangenheit lernen, das Wissen darum weder zu vergessen noch zu verdrängen, damit allen ein angstfreies Menschenleben in Würde, ohne Not, Leib- und Lebensgefahr möglich ist. Sich dafür einsetzen, jede/r an seinem/ihren Platz, dann war das Leiden anderer nicht völlig vergeblich.
Am Mahnmal sollte sich auch ein Guide einfinden, Fehlanzeige. Erich Maier übernahm den Part, souverän und engagiert. Das KZ-Außenlager befindet sich exakt dort, wo drei Landkreise aufeinandertrafen: Böblingen, der damals noch selbstständige Kreis Rottenburg (heute zu Tübingen gehörend) und Tübingen. Das Lager, die KZ-Häftlinge waren miserabel und viel zu eng im umzäunten Hangar des damaligen Flughafens untergebracht, gab es in Hailfingen nur von etwa Mitte November 1944 bis Anfang Januar 1945. 601 jüdische Häftlinge waren aus Stutthof bei Danzig dorthin transportiert worden. Unzulängliche sanitäre Einrichtungen, fehlende ärztliche Versorgung, Unterernährung, Kälte und harte Arbeit forderten ihren Tribut. Aufgabe der Gefangenen war es, aus den umliegenden Steinbrüchen Material für den Ausbau der Startbahn und zweier Rollwege herauszubrechen, Bäume zu fällen und Blindgänger zu entfernen. Der Flugplatz sollte gegen Kriegsende ausgebaut werden, um Jagdfliegern Richtung Westfront Start- und Landemöglichkeiten zu verschaffen. Die Gefangenen wurden durch die Zwangsarbeit wie Material verbraucht, geplant und erbarmungslos. 124 Häftlinge haben überlebt, das Schicksal von etwa 200 ist bis heute ungeklärt, der Tod von 186 ist nachgewiesen. E. Maier wusste von einer älteren Glaubensschwester in der Gemeinde Öschelbronn, dass sie wie auch andere Einheimische versucht hat, den Gefangenen heimlich etwas zu essen durch den Zaun zukommen zu lassen, was bei Strafe verboten war. Die Franzosen entdeckten nach dem Krieg ein Massengrab und zwangen die einheimische Bevölkerung zur Exhumierung und Beisetzung der Leichname auf dem Tailfinger Friedhof. Vae victis…unter den zur Arbeit Gezwungenen befanden sich auch neuapostolische Glaubensgeschwister aus Öschelbronn, berichtete E. Maier. Der auch zu organisieren wusste, dass niemand hungrig nach Haus fahren musste.
…die Spitze des Eisbergs… symbolisiert das Mahnmal mit den eingravierten Namen der Häftlinge. An der Stelle „nur“ rund 600, von Millionen damals. Und jeder ist einer zu viel.