…vom guten Hirten… Das Durchschnittsalter der Gottesdienstbesucher dürfte stark nach unten vom sonst üblichen abgewichen haben.
Obgleich außer den schulpflichtigen Kindern des Bezirks auch viele Erwachsene dabei waren: einige Gemeindevorsteher, Lehrkräfte sowie Väter und Mütter wegen der notwendigen Chauffeursdienste. Bezirksvorsteher Klaus von Bank leitete den Gottesdienst. Der Kinderchor hatte zu Beginn musikalisch die Frage gestellt: „Hast du heute schon danke gesagt?“ Den Gedanken griff K. von Bank auf. Er hatte im Eingangsgebet davon gesprochen, Gott am Morgen loben und ihm am Abend danken zu können. Das sei verbesserungswürdig. Schließlich wäre es schade, wenn nicht schon morgens dem Schöpfer Dank gesagt werden kann. „Wer denkt, der dankt,“ heißt es. Grund zum Danken gibt es immer, auch dann wenn man Sorgen hat? Wenn möglicherweise gerade die eigene Oma gestorben und man ganz traurig ist? Doch, obwohl es nicht immer leicht fallen mag. Vielleicht war die Großmutter krank gewesen, litt unter Schmerzen, von denen sie jetzt erlöst ist.
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln, Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ (Ps 23, 1-4)
Der Text Davids, obwohl alt vertraut, sei trotzdem an dieser Stelle vollständig zitiert. Sowohl vom Inhalt als auch von seiner poetischen Schönheit her, die dank des Übersetzers Dichtkunst auch in der deutschen Sprache erhalten bleibt, kann man den Psalm nicht oft genug lesen, hören, ihn sich verinnerlichen.
Dieses Bild vom guten Hirten bestimmte den Inhalt des Gottesdienstes, der nicht als Monolog gestaltet wurde. Sowohl K. von Bank als auch später Ulrich Güttler, stellvertretender Leiter des Bezirks Tübingen bezogen die Kinder mit ein. Fragen wurden gestellt und die Kinder antworteten. Und wenn die einmal nicht weiter wussten, waren die meist jugendlichen Mitglieder der Instrumentalgruppe gefordert, die neben Gemeindegesang und Kinderchor fürs Musikalische im Gottesdienst sorgten.
Nachdem geklärt war, dass David erst Schäfer und später König gewesen war, ging es um die Aussage des erwachsenen Psalmdichters: Gott ist mein Hirte. Daraus folgt, ich, der König, bin ein Schaf Gottes. Im Neuen Testament bezeichnet Jesus sich als guten Hirten, dessen Schafe seine Stimme hören. An anderer Stelle wird Jesus als „das Lamm Gottes“ bezeichnet. Stellt sich die Frage, warum vor 2.000 Jahren und mehr immer wieder dieses Bild vom Hirten und seiner Schafherde? Heute sind Schafe für die menschliche Existenz nicht mehr so wichtig wie damals, als sie für Nahrung und wärmende Kleidung gebraucht wurden. „Wo schaffen heute die meisten Menschen? “ Der Bezirksvorsteher kannte sich aus im Ländle: Die meisten hier bei uns bauen Autos, hieß es. Wieder in die Vergangenheit zurück: Wenn David sich als „Schaf Gottes“ bezeichnet, dann geht es ihm darum, dass Gott für die Menschen sorgt. Der Hirte im Irdischen kümmert sich um die Schafe, weil sie seine Existenzgrundlage sind. Gott sorgt sich um „seine Schafe“, die Menschen, weil er sie liebt. Sie sollen keinen Mangel haben. So, wie Eltern für ihre Kinder da sind. Auch wenn sie nicht jeden Wunsch erfüllen. Nicht aus Böswilligkeit, sondern weil Manches nicht gut für sie sein könnte.
Dann ging es um das Weiden und die Wasserversorgung: Was machen Schafe von morgens bis abends? Man sieht nach unten gebeugte Köpfe und sie fressen und fressen…Gott versorgt uns nicht mit Gras und Wasser. Beides sind Symbole für Gottes Wort. Und was bedeutet wohl die Seele „erquicken“? Aus dem Auditorium großes Schweigen, dann war zu hören „Hab`ich mal gewusst, aber wieder vergessen.“ Die Problematik wird mit zunehmendem Alter leider nicht weniger gewichtig, kommentierte das ein erfahrener Bezirksvorsteher. „Erquicken bedeutet, erfrischt werden, sich über etwas freuen, sich wohl fühlen,“ wurde gemeinsam definiert. Wieder zurück zum Bild des Hirten, der den Weg bestimmt und die Vierbeiner bleiben beisammen, folgen ihm. Jetzt kam ein anderes Tier zur Sprache – der Hütehund. Gott braucht solche Hilfsmittel nicht, stellte der Bezirksvorsteher beruhigt fest.
„Er führt uns auf rechter Straße“, manchmal auf schwerem Weg, manchmal auf einem leichten. Da mag man sich fragen, warum ist gerade meiner so schwer zu gehen? Das kann oft nicht gleich oder manchmal sogar nie beantwortet werden. Aber trotzdem die Sicherheit haben können, wie es der Psalmist sagt, dass es der richtige Weg ist.
„…und ob ich schon wanderte im finstern Tal“ – was ist das? Z. B. eine Schlucht, in der man den Himmel nur als schmalen Streifen ganz weit oben sieht - auch das ein Bild für unser Leben. Wenn der Mensch Sorgen hat, dann engt sich das Blickfeld ein. „Meine erzähle ich erst gar nicht, das würde den ganzen Tag in Anspruch nehmen,“ so K. von Bank. Und eure – da ist die Schule…ob man den Test besteht, hörte man aus erfahrenem Schülermund. Ja, und Streit mit Freund oder Freundin, Stress mit dem Lehrer…das kannten alle. „Und der hat Stress mit seinen Schülern,“ war vom Altar zu hören, die andere Seite sehend. Man kann kranke Eltern haben, wirtschaftliche Probleme…alles ein „finsteres Tal.“
Und trotzdem „so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ Ging es Jesus immer gut – sicher nicht. Auch im „finsteren Tal“ nicht sagen, Gott ist fortgegangen. Sondern wissen „sein Stecken und Stab trösten mich.“ Was kann man mit einem Stab machen – sich wehren. Gott hat die Möglichkeit, uns zu schützen, Halt zu geben, den richtigen Weg zu weisen. Wichtig dabei, zusammenzubleiben. Der Bezirksvorsteher hatte seine eigenen Erlebnisse mit Schafherden gehabt: Eine hatte er beobachtet, wie sie einen steilen schneebedeckten Hang hinaufging. Hinter den Schafen war grüne Wiese zu sehen (vielleicht mit ein paar braunen Flecken, berücksichtigte er den Einwand der Kinder). Warum grün? Weil sie, eng zusammen laufend, so viel Wärme abgaben, dass der Schnee unter ihnen schmolz. Ein anderes Mal konnte K. von Bank auf einer engen, kurvigen Strecke sein Fahrzeug nur mit einer Vollbremsung rechtzeitig vor einer Schafherde stoppen. Und die – ging unbeeindruckt geschlossen weiter, gemeinsam und nicht auseinanderspringend. Wenn Gotteskinder eng zusammenstehen in einer geistigen Eiszeit, dann wird ihnen nicht kalt. Gott versorgt sie wie der Hirte in alter Zeit. Dieses Bild führt uns an das Glaubensziel. Das ist eine frohe Kunde. Und ein froh stimmender Weg.
Ulrich Güttler, auf Bezirksebene für Kinder und Jugendliche zuständig, ging auf Jesus als „guten Hirten“ ein. Da stellt sich automatisch die Frage, ob es auch schlechte gibt. Aus dem Orchester kam die Antwort: Es gibt auch schlechte. Vom guten Hirten heißt es in der Bibel, dass er sein Leben lässt für die Schafe. Damals war das nötig, es gab wilde Tiere und Viehdiebe, da musste ein Hirte wehrhaft sein. Und unter Umständen sein Leben für die Schafe einsetzen. Hirten, die nicht die eigenen Schafe hüteten, sondern fremde gegen Geld, die konnten schlechte Hirten sein und in Gefahr einfach davonlaufen. Jesus als guter Hirte wird sich vor uns stellen und das nicht tun.
Im Johannesevangelium heißt es, meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie (Joh 10,27). Wie soll das gehen? Stellen wir uns hundert weiße Schafe vor, wo ist da der Unterschied zwischen den einzelnen? Aber Jesus weiß trotzdem alles von uns, auch wenn wir vom Grundsatz her alle gleich sind. Das zeigt uns die Allmacht Gottes, der sich um uns sorgt und das gibt ein gutes Gefühl. „Ich wünsche euch alles Liebe und Gute. Behaltet den guten Hirten im Herzen.“
Keiner hat mehr Liebe für seine Freunde, als der, der sein Leben für sie lässt, leitete der Bezirksvorsteher zur Feier des heiligen Abendmahls über. Jesus hat das getan. Was hat das bewirkt, wozu war das gut? War das Niederlage oder Sieg? Den Teufel gibt es immer noch. Aber er kann uns nicht vereinnahmen. Daran muss man glauben, dann geschieht mit der Sündenvergebung die Befreiung vom Bösen. Das setzt das Verzeihen anderen gegenüber voraus, auch wenn das nicht immer leicht fällt. Aber die Bereitschaft dazu darf keine Grenzen kennen.
Nach dem Gottesdienst bedankte sich der Bezirksvorsteher bei den Kindern fürs lange Ausharren – der Gottesdienst hatte 70 statt der üblichen 60 Minuten gedauert. Aber, K. von Bank wusste auch gleich die Erklärung dafür: Schließlich hätten die Antworten auf die gestellten Fragen auch Zeit gebraucht…Besonders aber lag es dem Bezirksvorsteher am Herzen, an dieser Stelle ausdrücklich den Lehrkräften für ihre wichtige Arbeit seinen herzlichen Dank auszusprechen.
Beim Verlassen der Kirche, der Wind stand günstig oder ungünstig, wie man es nimmt, stieg der auch für Zugereiste betörende Duft frischer Butterbrezeln in die Nase, die draußen auf großen Tischen für die Kinder liebevoll hergerichtet worden waren. Da lag schon die Versuchung nahe, rasch im Vorbeigehen auch als Erwachsener mal zuzugreifen…