„… und doch dem Unsichtbaren, als säh er ihn, vertraut;…“ (aus dem Neuap.
Gesangbuch Nr. 335, Strophe 2, Text Karl Johann Philipp Spitta, 1801 – 1859)
Der eingangs zitierte Text ist dem Lied entnommen, das zu Beginn des Gottesdienstes die in Herrenberg aus allen Gäugemeinden zusammengekommenen Glaubensgeschwister an einem strahlend schönen Maisonntagmorgen sangen. Bischof Georg Kaltschmitt bezeichnete den zu Beginn als einen Bilderbuchsonntagmorgen und bereute nicht, von Tübingen am blühenden und grünenden Schönbuch entlang nach Herrenberg gekommen zu sein, denn dann hätte er etwas versäumt. Stimmt.
Im Gebet zuvor war es dem Bischof ein besonderes Anliegen, dass der himmlische Vater den Sonntagsfrieden ausbreiten möge, eine Bitte, der sich wohl jeder gern anschloss. „Wir wollen einen Gottesdienst miteinander feiern, wir wollen es zu einem Fest machen, dass wir uns haben als Brüder und Schwestern. Die ersten Christen damals trafen sich sogar täglich. Sie wollten sich vergewissern, ja, wir haben Brüder und Schwestern. In einem Gottesdienst will Gott uns begegnen, mit uns reden, Klarheit schaffen, Sicherheit geben. Wir kennen das Evangelium Christi und trotzdem gilt es, sich immer wieder damit zu beschäftigen. Heute morgen geht es um das Gebot Gottes“, bezog sich G. Kaltschmitt auf das zu Beginn verlesene Bibelwort:
„Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern.“ (5. Mose 30,11)
Es gibt nicht nur die Zehn Gebote. Alles, was Gott sagt, sind göttliche Weisungen. Die Zehn Gebote wurden Mose damals auf dem Berg Sinai gegeben. Sie sind Grundlage jeder irdischen Rechtsordnung. Darauf basieren die Verfassungen aller Länder. Diese Aussagen gelten bis heute unveränderbar für das Empfinden jedes Menschen hinsichtlich des Umgangs mit Gott und untereinander, so begann der Bischof auf das verlesene Wort aus dem Alten Testament einzugehen. Er erinnerte an die damaligen Gegebenheiten: Mose befand sich in seiner letzten Lebensphase. Er sollte das Gelobte Land nicht mehr erreichen, sondern vorher sterben. Seinem Volk gab er als Vermächtnis mit, alle Worte Gottes lebendig zu halten. Sie den Nachfahren weiterzugeben, ja, den Kindern sogar zu befehlen, danach zu tun. Wer Gott als den Schöpfer erkennt, der hat das Bedürfnis, sich so zu verhalten, dass der mit Wohlgefallen auf den Menschen schauen kann. Dasselbe gilt bezüglich der Mitmenschen. Für die sollte man auch kein Ärgernis sein, vielmehr das Gegenteil.
Jesus wurde als Mensch geboren, um das Gesetz zu erfüllen und es in die Herzen der Menschen zu schreiben. Das war nicht alles. Er gab sein besonderes Gebot: Gott zu lieben über alles und den Nächsten wie sich selbst. Darin ist alles enthalten. Wenn die Liebe der Ansporn ist, bedarf es keiner ausformulierten Verhaltensmaßregeln. Jesus sprach insoweit von einem „neuen Gebot“. Das ist nicht etwa aus Angst vor Strafe zu befolgen. Vielmehr als ein Bedürfnis aus der Liebe heraus. Trachtet am Ersten nach dem Reich Gottes, waren ebenfalls Jesus` Worte. Wer das verinnerlicht, braucht kein Gesetz. „Alles, was ich aus Liebe tue, kann ich nicht falsch tun.“
Das Gebot Gottes ist „nicht zu hoch“, zitierte der Bischof aus dem verlesenen Bibelwort. Das Evangelium wird nicht von außen, sozusagen ex cathedra
übergestülpt wie eine Zwangsjacke. Gottes Sohn hat uns vorgelebt, dass es möglich ist, nach seines Vaters Wort zu leben. Es ist weder unverständlich noch unbegreiflich. Ein Schüler, mit höherer Mathematik konfrontiert, mag sagen, das ist mir zu hoch. Was Gott sagt, ist das nicht. Und ist auch nicht mit dem Verstand zu begreifen. Letzteres mag für menschliche „Spielregeln“ des Zusammenlebens gelten. Da folgt auf die nicht beachtete rote Ampel die entsprechende Strafe. So ist Gottes Gebot nicht. Das muss mit dem Herzen erfasst werden. Fühlen, was Gott von mir will und danach zu handeln soll mein eigenes Anliegen sein.
„…und nicht zu fern…“ heißt es weiter. Gottes Wort ist nicht so weit weg, dass wir keinen Bezug dazu haben können. Nicht so, wie man landläufig sagt, das sei ferne von mir, wenn man mit etwas nichts zu tun haben will. Aber, jeder hat so seine genetisch bedingten Veranlagungen, die Gottes Wort weit von sich wegschieben lassen können. Dann gilt es, die in den Hintergrund treten zu lassen und sich dem göttlichen Wesen anzupassen. Gottes Gebot ist auch nicht etwa deshalb fern, weil es für eine andere Zeit gelten könnte. Es ist uns ganz nah. Heute ist es da, heute wollen wir es beachten. Diese Nähe gilt unter allen Lebensumständen, ohne Ausnahme.
Der Bischof erwähnte, dass Kirchenpräsident Neuapostolische Kirche International und Stammapostel Jean-Luc Schneider zu diesem Bibelwort darauf hingewiesen hat, dass die Kirchenordnung, die Vieles im Detail regelt, wie es auch im Alten Testament der Fall war, kein solches Gebot Gottes ist. Kulturelle und traditionsbedingte Unterschiede in den einzelnen Erdteilen und Ländern führen zu unterschiedlichen Regelungen. Unser Verhältnis untereinander als neuapostolische Christen in der Kirche ist den zeitbedingten Veränderungen anzupassen. Anderes Empfinden in anderen Kulturen führt zu anderen Gestaltungen der Gottesdienste dort. Das sind äußerliche Dinge, die nichts mit Herz und Seele zu tun haben.
„Ganz nach dem Gebot Gottes zu leben, bedeutet, es sich immer wieder bewusst zu machen. Weil wir verstanden haben, worum es geht, ist es uns ein Bedürfnis, danach zu handeln. So zu werden wie Jesus es vorgelebt hat, das ist die rechte Motivation, mit dem Wort Gottes umzugehen.“, so G. Kaltschmitt zum Schluss.
Der Vorsteher des Bezirks Tübingen, Klaus von Bank, wies darauf hin, wie wichtig es ist, zu differenzieren zwischen dem, was das Gebot Gottes ist und dem, was „Spielregeln“ sind. Man könnte sich sonst verzetteln. Wenn das Wort Gottes gilt, dann ist die Liebe maßgebend. Und wenn die in allem ist, erübrigen sich Detailfragen. Gott weiß aber auch, dass er es mit unvollkommenen Menschen zu tun hat, deshalb bedarf es seiner Hinweise. Was die „Spielregeln“ anbetrifft, da kann man schon mal unterschiedlicher Meinung sein. Aber es gilt, anderen das Leben nicht schwer zu machen. Respekt und Toleranz im Umgang miteinander zu haben. Bezogen auf diesen letzten Sonntag im Mai, den Tag der Europawahl, hieß es, dass Mancher meinen könnte, das ist mir alles viel zu weit weg. Oder Kriege in anderen Erdteilen, alles ganz weit entfernt? Anders sieht es aus, wenn sie an den Rand Europas reichen können. Ist das Wort Gottes für mich zu weit weg? Gott kommt auf uns zu, aber wir müssen alles tun, um wahrzunehmen, was er von uns erwarten kann. Das Ziel unseres Glaubens vor Augen haben, dann lassen wir gern unsere Seelen dahin ausrichten, eine würdige Braut Christi zu sein und im Glauben zu vollenden.
G. Kaltschmitt griff noch einmal das Gebot der Liebe auf. Wenn man in auf Dauer angelegten Rechtsbeziehungen die Gesetze bemüht, unter Nachbarn, in der Ehe, dann ist das meist der Anfang vom Ende. Wer in der Liebe lebt, der muss sich nicht auf Gesetze berufen. Das Gesetz ist aber nur das eine. Es steht neben der Gnade. Gott hat durch Jesus eine neue Ära begründet: Durch dessen Opfer ist es Gnadenzeit. Das Gesetz kennt nur Sanktionen als Folge von Verstößen. Gott ist gnädig. Da muss keine Strafe befürchtet werden. Vielmehr folgt aus seiner Liebe die Gnade für den Menschen.
Im Gottesdienst wurde ein Glaubensbruder in die Neuapostolische Kirche durch den Bischof aufgenommen. Ein Glaubensbruder, wie G. Kaltschmitt betonte, denn wer getauft ist und Christus als Herrn bekennt, zählt nach neuapostolischem Katechismus zur Kirche Jesu Christi. „Ich möchte zu dem Teil gehören, der als Braut Christi geführt wird in einem von Apostel geleiteten Erlösungswerk, zu denen gehören, die auf die Wiederkunft Christi warten, um heimgeholt zu werden“, formulierte der Bischof den Wunsch des Aufzunehmenden. Angesprochen von der Liebe Gottes ihm die Treue halten. „Wollen Sie im Glauben diese Liebe empfangen und Gott und dem Nächsten die Liebe geben, mit reinen Empfindungen des Herzens den Glaubensweg gehen?“ Ein klares „Ja“ war die Antwort.
„Alles Gute für die kommenden Tage und genießt diesen herrlichen. Ich wünsche euch, dass ihr dazu einen Grund habt!“, verabschiedete sich G. Kaltschmitt, bevor noch einmal der gemischte Chor in Aktion trat. Und wie… die SängerInnen hatten sich schon mal die gelben Schals für den Internationalen Kirchentag (6. bis 8. Juni 2014 in München) umgebunden und stimmten dessen Lied an:
„Singt ein Lied von Gott, dem Schöpfer dieser Welt….Er, der immer ist und war, bleibt in Ewigkeit derselbe, Gott ist da.“ (Text und Melodie Peter Strauch, geb. 1943)
Damit schloss sich der Kreis zum Eingangslied: Gott ist da. Auch wenn er unsichtbar ist.