Sozusagen in die Mitte des Bezirks – zwischen den Gäu- und den Tübinger Gemeinden liegt Rottenburg – war M. Ehrich an einem trüben, nasskalten Herbstabend gekommen.
Die widrigen Wetterverhältnisse wurden hoffentlich durch den warmherzigen Empfang der Glaubensgeschwister aus den Gemeinden Rottenburg, Bondorf und Mötzingen ein wenig ausgeglichen. Außer Apostel Martin Schnaufer und Bischof Georg Kaltschmitt waren die Bezirks- und Gemeindevorsteher aus dem Tübinger und auch aus benachbarten Bezirken zum Gottesdienst gekommen.
„Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ (aus Lk 2, 49),
um diese Worte des damals 12-jährigen Jesus ging es im Gottesdienst.
Der gemischte Chor hatte zu Beginn des Gottesdienstes das altvertraute Pfingstlied vom Geisteswind aus Himmelshöhen gesungen (Neuap. Chorliederbuch Nr. 356). M. Ehrich knüpfte daran an, an diesen Geisteswind als eine Himmelsmacht. Die wirken kann, wenn sich eine Gemeinschaft im christlichen Sinn zusammengefunden hat. Da kann auch in jedem Gottesdienst ein „kleines Pfingstfest“ liegen: Wenn der Geist Gottes das Innere berührt und trotz aller Nöte Mut und neue Hoffnung aufkommen lässt im Gefühl, dass Gott nahe ist und keinen vergessen hat.
Auf das Bibelwort eingehend, griff der Bezirksapostel das „ich muss“ auf. Darin liegt ein Wollen, ein inneres Verlangen. Es ist nicht immer einfach, sich, besonders in der Woche, die Zeit für einen Gottesdienstbesuch freizukämpfen. Aber, bedenken wir auch, dass Gott uns die Zeit geschenkt hat. Betrachten wir die für den Gottesdienst aufgewandte nicht als ein Opfer, sondern als etwas Wichtiges und Wertvolles, einen ewigen Gewinn.
Jesus damals im Tempel suchte die göttliche Nähe. Er als Gottessohn hatte eine andere Ausgangsposition als wir Menschen. Aber auch wir können es erfahren, dass, wenn der himmlische Vater uns die Gabe der Gotteskindschaft schenkt, uns dazu erwählt, wir seine Nähe erleben dürfen. In diesem Geschenk liegt gleichzeitig eine große Aufgabe. Wenn es unser Wunsch ist, Gott immer näher zu kommen, stellt sich die Frage, was tun wir dafür? Wenn wir im Leben vor Entscheidungen stehen, kann ich dann noch meine Aufgaben im Werk des Herrn wahrnehmen, wenn ich mich so oder so entschließe? Sicher geht es nicht immer, sich danach auszurichten, aber die innere Haltung sollte schon sein, dass Gott den ersten Platz in meinem Leben einnimmt. Ich will in dem sein, was meines Vaters ist.
Jeder Mensch ist von Gott geschaffen, von ihm gewollt und geliebt. Die Gaben, die man bekommen hat, kann man fürs Irdische einsetzen, aber auch für das Werk des Herrn. Die Heilige Schrift – eine Gabe Gottes. Wissenschaftlich betrachtet ist sie eine Sammlung von Schriften aus verschiedenen Zeiten. Man kann sie aber auch als eine Gabe Gottes sehen, mit der er uns bis heute etwas zu sagen hat. Auch sein Wort in den Gottesdiensten ist eine Gabe. Die sich mit dem dreifachen Amen am Ende der Liturgie nicht erledigt hat. Man kann sich, Gründe dafür hat man schnell gefunden, daran aufhalten, es abwerten. Man kann aber auch versuchen, es im Glauben zu ergreifen. Die Amtsgaben, der Vorsteher, die Priester, die Diakone in einer Gemeinde sind eine Gabe. Sie können uns eine Hilfe sein, wenn wir die richtige Einstellung haben. Darum und dafür gilt es zu kämpfen, ohne Kampf kein Sieg. Gott will, dass allen Menschen geholfen wird. Wir können auch dafür unsere Gaben einsetzen. Wann haben wir das letzte Mal von unserem Glauben Zeugnis abgelegt? Nicht sich aufdrängen, aber eine Situation wahrnehmen, in der man den eigenen Glauben vermitteln kann. Durch das eigene Verhalten, wo auch immer, seine innere Einstellung zu erkennen geben. Im Gemeindeleben mag es zu Missverständnissen kommen. Dann das, was uns untereinander verbindet, in den Vordergrund stellen. Aus dem göttlichen Gesetz der Nächstenliebe heraus immer wieder etwas Gutes tun, damit allen geholfen werden kann.
Wer es ernst nimmt mit dem „ich muss“, der wird sich auch auf die Wiederkunft Christi vorbereiten. In jeder Gemeinde muss die ernste Vorbereitung darauf im Mittelpunkt stehen. „Das bringt ewigen Gewinn und Gott wird Gnade dazu geben. Das möge bald geschehen!“
Der noch „neue“ Apostel im Bereich Freiburg/Tübingen, M. Schnaufer, sprach bezüglich des Bibeltexts von „einem alten Wort in neuem Glanz“. Das „ich muss“ , auf keinem äußerer Zwang beruhend, ist in einem Kontext zu sehen, der unser ganzes Leben umfasst. Wo ist mein Platz? Sicher braucht man berufliche Perspektiven, aber was ist wirklich dein Platz? Ich will mich da bewegen, wo die Gaben Gottes sind. Ich gehe aus dem Gottesdienst mit dem Gefühl, da gehöre ich hin. Und sogar im fremden Land, weitab von zu Haus und wo ich noch nicht einmal die Sprache verstehen kann.
Wir wollen an unser Glaubensziel kommen, wir müssen es nicht. Dazu bekennt sich Gott und gibt uns dazu auch seine Hilfe im Alltag.
Vor der Feier des heiligen Abendmahls ging M. Ehrich auf die Gnade Gottes ein. Die er den Menschen zwar immer wieder schenkt, dafür aber das ernsthafte Bemühen verlangt, alles zu lassen, was zur Sünde führen kann. Ein gelungenes Glaubensleben heißt nicht, dass immer alles gelingt. Aber wenn wir uns der Gnade würdig erweisen, zeigt sie Tiefenwirkung. Wenn wir unsere Fehler bereuen, kann Gottes Gnade volles Heil bewirken.
Der gemischte Chor hatte schon vor dem Gottesdienst ein Lied gesungen, dessen Text das freiwillige Muss, das Thema an diesem Abend war, vorwegnahm mit dem daraus folgenden Wunsch, wie er nicht schöner hätte ausgedrückt und vorgetragen werden können:
„Ich brauch zu jeder Stund dein Nahesein,denn des Versuchers Macht brichst du allein.
Wer hilft mir sonst, wenn ich den Halt verlier?
In Licht und Dunkelheit, Herr, bleib bei mir!“
(Neuap. Gb. Nr.180, Vers 3)
Dieses Lied wie auch das zu Beginn gemeinsam gesungene (Nr. 159) „Der Glaub ist feste Zuversicht zu Gottes Gnad und Treue…“ entstammen einem Teil des Gesangbuchs, der überschrieben ist : Glaube – Vertrauen – Trost. Die drei konnte jeder, der es wollte, aus diesem Gottesdienst mitnehmen.