Ein besonderer Tag im Kirchenjahr: Der erste Sonntag im Monat Juli ist einer von Dreien, an denen neuapostolische Christen in besonderer Fürbitte für das Seelenheil der Menschen bitten, die zu Lebzeiten, sei es wegen subjektiver oder objektiver Hindernisgründe, nichts für ihr Seelenheil tun konnten.
In den Bezirken Calw und Tübingen des Apostelbereichs Tübingen kam als weitere Besonderheit hinzu, dass untereinander die Bezirksvorsteher ausgetauscht wurden: Während die Calwer Bezirksämter Gottesdienste in den Gemeinden Tübingen, Herrenberg und Öschelbronn leiteten, begaben sich die Tübinger in die Höhen des Nordschwarzwalds nach Oberreichenbach, Bad Liebenzell und Neubulach. So leitete Bezirksevangelist Wolfgang Binder den Gottesdienst in Öschelbronn, zu dem auch die Mitglieder der Gemeinden Bondorf und Nebringen eingeladen waren. Ein strahlender Sommerhimmel sorgte äußerlich für, wie es in einem Lied im „alten Gesangbuch“ hieß, seligen Sonntag. Im Kirchengebäude konnte schon sehr früh ein junger Diakon aus der Gemeinde Öschelbronn beobachtet werden, wie er umsichtig alles Notwendige tat, um den Raum für die Feier des Gottesdienstes herzurichten. Und der später, nachdem einem der beiden anwesenden Gemeindevorsteher eingefallen war, es könne - eigentlich unüblich an einem solchen Tag – Sonntagsschule parallel zum Gottesdienst stattfinden, liebevoll die im Kirchenraum befindlichen Kinder „einsammelte“ und in den Nebenraum zur Sonntagsschule brachte. Ein mit Rosen geschmückter Altar und, musikalisch, eine Instrumentalgruppe und der gemischte Chor trugen das Ihre zur sonntäglichen Einstimmung der Gottesdienstbesucher bei.
„Und trat hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und er sprach: `Jüngling, ich sage dir, steh auf!` Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner Mutter.“ (Lk 7, 14 und 15)
Das Geschehen um den Jüngling zu Nain bestimmte den Inhalt des Gottesdienstes. W. Binder ging zu Beginn auf den Begriff „Gottesdienst“ ein: Das heißt, dass Gott in der Gemeinde wohnt, unter uns ist. Das verbindet, egal, ob man sich kennt oder nicht. Und Bezug nehmend auf das damalige Handeln Jesus`, dem es gegeben war, einen Verstorbenen zum Leben zu erwecken, schilderte der Evangelist die Reaktion der Zeugen, die sich sicher waren: „Gott hat sein Volk besucht.“ (Lk 7,16). Ein Besuch Gottes ist eine herausragende Sache. Den sollen wir wie auch die Menschen im Jenseits erleben. Gott findet dich bei seinem Besuch vor mit allem, was dich gerade freut oder sorgenvoll umtreibt. Er setzt sich neben dich, hat eine Botschaft und redet nichts Belangloses. Er hat eine deutliche Nachricht für dich. So möge es sein im Gottesdienst. Und wen besucht er? Jede/n, der/die sich darauf einlässt. Paulus schrieb seinerzeit an Timotheus, dass Gott will, dass allen Menschen geholfen wird. Das bedeutet, Gebet, Fürbitte für alle Menschen im Diesseits und im Jenseits. Es ist nicht vorstellbar, dass Gott nicht alle Menschen besuchen will. Ein Besucher – dieser besonders – soll keine verschlossenen Türen vorfinden, sondern offene Herzen. Vielleicht ist, bevor man die Tür aufmachen kann, noch vorher etwas auszuräumen…
Und so ein Besuch hat Auswirkungen. Als Jesus den Trauerzug sah, eine Mutter, die einen Sohn verloren hatte, das tat ihm leid. Seine Barmherzigkeit umfasste auch den Toten. Jesus, Gott, hat die Macht, einen Zustand zu ändern, Leben zu schaffen. Durch die Sündenvergebung, die heilige Wasser- und die heilige Geistestaufe.
Die Mutter seinerzeit im Trauerzug hat eine besondere Rolle gespielt, sie war diejenige, die am tiefsten berührt war. Stammapostel i. R. Wilhelm Leber hat einmal die Mutter mit der Gemeinde verglichen. Wenn diese, das heißt wir, die Seelen aus der Ewigkeit mit einem solchen Berührtsein begleiten, dann sind wir „Mutter“: „Lasst uns so als Gemeinde vor den himmlischen Vater treten und er wird Großes tun!“
Gemeindevorsteher Frank Bitzer, Öschelbronn, war sich während des Gottesdienstes ein wenig „wie in der Sonntagsschule“ vorgekommen, bei der Erklärung dessen, wie das so ist, wenn „Gott zu Besuch kommt, uns hilft.“ So, wie es Gott nicht gleichgültig ist, was aus den Seelen der Menschen wird, soll das uns auch etwas angehen. Er, Gott, hat alle lieb, besucht sie alle. Von unserer Seite setzt das aber auch Vergebungsbereitschaft denen gegenüber voraus, mit denen wir im Streit liegen.
„Nachbar“ Hilmar Stockinger, Vorsteher der Gemeinde Nebringen, warf die Frage auf: „Wie berührt bist du, bin ich?“ Die Botschaft heute morgen ist: Empfinden wie eine Mutter für ihren Sohn. So intensiv zu Zuneigung, Gefühl und Fürbitte bereit sein. Und zum anderen: Jesus gibt Leben. Das ist gigantisch, etwas Besonderes. Wir brauchen Vergebung. Ein Fehler kann nicht ungeschehen gemacht werden. Aber, aufhören, anzuklagen, Schuld zuzuweisen. Wie Jesus, der Leben gegeben und uns die Schuld abgenommen hat. Darüber soll sich eine lebendige Gemeinde, die wir sein wollen, freuen.
W. Binder griff noch einmal den Gedanken vom Berührtsein auf, das fürbittendes Eintreten für andere bewirkt. „Kommen da nicht Demut, Freundlichkeit, Sanftmut, Geduld und Barmherzigkeit auf?“ Kommen wir zu unserem himmlischen Vater wie wir sind und ein jeder wird liebe- und verständnisvoll angenommen.
Der gemischte Chor vermochte das eindrucksvoll zu unterstreichen:
„Hört die Stimme des Heilands: `Kommet alle her zu mir!`
Ja, er ist voll Erbarmen, seine Lieb` ist groß…“
(Neuap. Chorliederbuch, Nr. 211, Text nach Worten der Heiligen Schrift)