Stadtführung in Rottenburg u.a… Um 10 Uhr hatten sich die meisten der Teilnehmer auf dem Parkplatz der Festhalle in Rottenburg eingefunden.
Einige kamen noch später hinzu, so dass es letztlich mehr als 20 waren. Nicht nur aus dem Gäu war man angereist. Es wurden auf dem Parkplatz auch Autos mit Kennzeichen LB und ES gesehen. Schön, dass die Kulturtage inzwischen Beliebtheit auch außerhalb des Bezirks Tübingen finden. Allerdings, ohne ein ganz besonderes Mitglied dieses Kirchenbezirks wäre der Vormittag sicherlich nicht so gut gelungen: Bezirksevangelist i. R. Manfred Bayer nahm sich der Aufgabe an, als Stadtführer die Bildungslücken bezüglich Rottenburgs zu füllen und, wie nicht anders zu erwarten, er machte das mit fundierten Kenntnissen, heiter und erheiternd, und keine Sekunde langweilend.
Auf der Hinfahrt hatten von der Alb her zwar dunkle Wolken gedroht, aber bis auf eine, die sich kurzfristig nicht zurückhalten konnte und unbedingt in Rottenburg ganz kurz vorbeikommen und ein paar Tropfen verlieren musste, blieben sie, wo sie waren und die Wissbegierigen trockenen Fußes. Und - es war fast Mitte April – man konnte sich beim gemeinsamen Spaziergang vom Parkplatz zum Treffpunkt mit dem Stadtführer beim aufmerksamen Hinschauen auf die Rasenrabatten am Wegesrand über Gänseblümchen, Veilchen, Krokusse und sonstige Frühlingsblüher freuen, endlich.
Es gibt in Rottenburg, bedingt durch die wechselvolle Stadtgeschichte, in deren Verlauf, u. a. durch zwei große Stadtbrände, Vieles zerstört und später völlig neu aufgebaut wurde, kein geschlossenes Stadtensemble. Es gab eine „uralte“ Stadt schon bei den zuerst dort siedelnden Kelten, ehe um etwa 100 n. Chr. die Römer sich am Neckar niederließen. Das dauerte 250 Jahre. Vertrieben wurden sie von germanischen Volksstämmen (Sueben/Alemannen), die alles, was an Stadt da war, verwüsteten und kleine Siedlungen in der Umgebung gründeten. Christianisiert wurden sie um das Jahr 600 herum. Um 1200 kam ein Adeliger – seine Burg lag zwischen Balingen und Rottweil – auf den Gedanken, sich am Neckar niederzulassen. Es wurden Stadtmauern und Türme errichtet, was wiederum die Siedler drum herum anlockte, weil sie innerhalb der Befestigungen sicherer wohnen konnten. 1280 war die Stadt schließlich fertig. 1381 wurde sie für 66 000 Goldgulden an einen Habsburger, zu dem familiäre Bindungen des in Rottenburg herrschenden Adelsgeschlechts bestanden, verkauft. Damit wurde sie Teil von Vorderösterreich, was bis Ende 1805 dauerte. Da kamen die Freien Reichsstädte ebenso wie die vorderösterreichischen Besitztümer im deutschen Südwesten an andere Herrscher, u. a. auch zum Herzog von Württemberg. Und da dessen Landesteile insgesamt zu vier Bistümern gehörten - Konstanz/Freiburg, Augsburg, Würzburg und Speyer- musste auch ein württembergisches her: Rottenburg. 1827 gab es den ersten Bischof, der mit dem, was er an Kirche vorfand, St. Martin, heute Dom St. Martin zu Rottenburg, nicht zufrieden war. Der Bischof wollte schließlich keine „Dorfkirche“. Also wurde St. Martin zum Dom. Heute gehören zur Diözese Rottenburg-Stuttgart etwa 2 Mill. Mitglieder, die sich mit einem recht kleinen und bescheidenen Dom zufrieden geben müssen. Was gut zu ertragen ist, wovon sich die Gruppe bei der späteren Besichtigung überzeugen konnte. Durch Umbauten in neuerer Zeit ist Vieles im Inneren entfernt worden, was die Linienführung störte. Das Gebäude innen beeindruckt jetzt mit ergreifender Schlichtheit. Modern gestaltete Bänke, ein Fußboden mit hellen Steinen, wobei alle Dinge, die einen sakralen Zusammenhang haben, dadurch optisch abgesetzt sind, dass sie auf einem dunklen Granitboden stehen. Eine Orgel mit 4 Manualen, 4331 Pfeifen und 64 Registern, dahinter ein buntes Fenster, findet sich an der Rückwand. Die Rottenburger Urgesteine waren seinerzeit vom Ergebnis der Neugestaltung (2001 – 2003) nicht sehr beeindruckt. „S` isch nimmer unser Dom“, so ihr Kommentar.
Zur Zeit wird ein neues großes Diözesangebäude errichtet, so dass das, was bisher auf 13 Gebäude in der Stadt verteilt ist, an einem Ort beherbergt werden kann, einschließlich eines Riesenarchivs mit allen noch vorhandenen Kirchenbüchern des Bistums. Kosten des Bauvorhabens: 35 Millionen. Da könne, wer wolle, nun Ahnenforschung betreiben, merkte M. Bayer an und hatte zu dem Thema auch gleich einen Googenwitz parat: Ein kleiner Googe wird nach seiner Herkunft befragt. Nein, er habe weder Mutter noch Vater. „Mi hat mei Tant ledig gekriegt!“
Auf jeden Fall ein wichtiger Arbeitgeber, die Diözese. Ebenso wie die Justizvollzugsanstalt in Rottenburg. 1845 als württ. Landesgefängnis gegründet, gibt es dort heute 600 Haftplätze und 250 Justizmitarbeiter.
Die Führung war beim Hotelrestaurant „Martinshof“ losgegangen, wo sich die Teilnehmer anschließend - sicherlich angemessen - stärken konnten. Gleich hinter dem „Martinshof“ befindet sich eine Säule aus der Römerzeit, die bei den Ausgrabungen für das Gefängnis entdeckt wurde. Sie steht heute dort, wo die Römer ihre öffentliche Toilette hatten. Ein Ort, der nicht nur den einen „üblichen“ Zweck hatte, sondern ein Gebäude, wo man sich zum durchaus längeren Verweilen und zum regen Geplauder mit anderen traf.
Ein Viadukt hatte es auch gegeben, über das die Römer aus einer Quelle in Köngen Wasser nach Rottenburg leiteten.
Es ging mit der Führung weiter an den alten, doppelten Stadtmauern entlang, auf deren innerer Häuser gebaut worden waren. Vorbei an einer Gedenktafel für das in Rottenburg geborene Urgestein , den Dichter Sebastian Blau, nach dem Zweiten Weltkrieg Mitgründer und auch einer der Herausgeber der Stuttgarter Zeitung. Auf der Tafel stand ein von ihm verfasstes Gedicht, das M. Bayer in vorzüglichem Schwäbisch vorlas. Nichts für Zugereiste, allerdings die Kernaussage, schon in den 80er Jahren des vorigen Jh. gemacht, für jeden gut zu verstehen und nachzuvollziehen: „Möchtest du ein Lehrer sei?“ Es folgte die Darstellung aller Nöte des Berufsstandes: unwillige, wenig bildungsbeflissene Schüler und verständnislose Eltern, die alle der Meinung sind, einen kleinen Einstein zum Kind zu haben und von der Schule den Ausgleich aller ihrer Erziehungsdefizite erwarten, so dass die Antwort auf die Eingangsfrage nur sein konnte: „Noi, i han scho Gallestei!“
An der Stadtmauer steht der ehemalige Zwinger, in dem auch Hinrichtungen erfolgten. Es ging nicht immer gerecht dabei zu, sofern man überhaupt in dem Zusammenhang von Gerechtigkeit sprechen kann. Weiter ging es an den Neckar: Dort befindet sich der hl. Nepomuk als Standbild. Gegenüber auf der anderen, der südlichen Neckarseite steht die ev. Kirche, die für die nach 1806 zugezogenen „Altwürttemberger“, die Protestanten waren, errichtet wurde. Eine gewisse Form des ökumenischen Miteinanders fand auch schon im 19. Jh.(die ev. Kirche wurde 1857 geweiht) statt: In der Karwoche gibt es in den Rottenburger kath. Kirchen kein Glockengeläut. Es wird dann nur gerätscht. Um da nicht zu stören, blieben und bleiben in der Zeit auch die Glocken der ev. Kirchen stumm. Allerdings wurden die Zugereisten aus Württemberg nicht vom Spott der Einheimischen verschont. Man nannte sie die „Hernler“, auf das Geweih im württembergischen Wappen Bezug nehmend.
Vom Neckar ging es zurück in die Altstadt, durch „Klein Venedig“. Da insbesondere zur Zeit der Schneeschmelze der Neckar über die Ufer trat, hatte man einen Kanal in die Stadt hinein gebaut mit einem Wehr, um das Wasser „steuern“ zu können. Von dort zweigten kleine Kanäle in die Stadt ab, mit denen Mühlen betrieben wurden.
Württembergische Geschichte ohne Graf Eberhard im Barte, den Gründer der Universität Tübingen? Undenkbar. Seine Mutter, Mechthild von der Pfalz, hatte in zweiter Ehe einen Habsburger geheiratet. Nach dessen Tod, von 1460 bis 1480, war sie entsprechend dem Vermächtnis ihres Mannes Herrscherin der Stadt und sorgte dort für ein reichhaltiges literarisches Leben. Sie hatte auch das Chorherrenstift in Sindelfingen geerbt, dessen Geld sie „umleitete“, damit es ihrem Sohn für die Gründung der Universität zur Verfügung stand. Armes Sindelfingen. Es musste lange auf neuen Geldsegen warten, bis dann endlich der Daimler kam, wie vergnügt aus dem Publikum zu hören war.
M. Bayer konnte auch viel aus der Geschichte der Neuap. Kirchengemeinde Rottenburg, z. T. aus eigenem Miterleben, erzählen. 2013 feiert sie ihr 60-jähriges Bestehen ( http://cms.nak-tuebingen.de/rueckblick/ereignisseberichte/kirchenbezirk/berichte-de-sued-tu-tue/2013/2013-01-01-rottenburg-60-jahre/ ). Durch die Flüchtlinge, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die sehr katholische Stadt kamen und ihren Glauben mitbrachten, konnte eine neuapostolische Kirchengemeinde am Ort gegründet werden. Ein junger musikbegabter Glaubensbruder aus Tübingen verstärkte dort den 1959 gegründeten Gemeindechor und wurde 1960 dessen Dirigent. Seinen Namen kann man als bekannt voraussetzen.
Ein „Ausländer“ reüssierte auch 20 Jahre lang in Rottenburg - als Bürgermeister und später, nach der Stadterhebung Rottenburgs, als Oberbürgermeister. Sein Wahlkampfslogan: „Wer macht`s recht - der Regenbrecht“ ließ ihn als Ostpreußen (!) Stadtoberhaupt werden (Egbert Regenbrecht, 1959 – 1979). Er machte seine Sache gut und sorgte dafür, dass sich die Stadt zu einer richtigen entwickeln konnte.
Bleibt noch zu erwähnen, dass auch das Geburtshaus von Sebastian Blau, das 1735 von einem Vorarlberger Baumeister errichtete barocke Rathaus, der Ritterbrunnen und noch vieles andere die Bewunderung der Besucher fanden. Für die stand um 14 Uhr, nach der mittäglichen Stärkung, noch eine Führung im Diözesanmuseum an, in dem sich eine der bedeutendsten und umfangreichsten Kunstsammlungen Baden-Württembergs befindet.