„Wie lieblich ist es sonntags früh…“ (neuap. Gesangbuch Nr. 113) war unter anderem, vom Organisten gespielt, vor dem Gottesdienst zu hören.
Vom Äußeren her alles andere als ein „lieblicher“ Sonntagmorgen im Märzwinter 2013 und trotzdem…Recht hatte und sollte er bekommen, der Organist mit seiner Musikauswahl. In den Kirchenbezirk Tübingen kam Besuch aus Ulm. Bischof Jürgen Gründemann leitete den Gottesdienst, der nicht so ganz früh - mit Rücksicht auf die Anreise - erst um 10.00 Uhr begann. Nach Tübingen waren auch die Glaubensgeschwister aus den Gemeinden Pfrondorf und Ammerbuch-Pfäffingen sowie viele Gemeindevorsteher des Kirchenbezirks Tübingen gekommen.
„Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.“ (Jes 50,6), lautete das Prophetenwort, das den Inhalt des Gottesdienstes bestimmte. Es assoziiert das, was auch Jesus bis hin zum Opfertod auf sich genommen hat, und so ging J. Gründemann auf das Passionsgeschehen ein: „Wie mag Jesus sich gefühlt haben? Nach jüdischer Lehre spiegeln Jesajas Worte die Leiden des Volks Israels. Nach christlicher kündigen sie an, was Jesus leiden musste. Sicher, Gott hätte einen anderen Weg für die Erlösung der Menschheit gehabt. Aber er wollte es so. Anfeindungen, physische Schmerzen waren das Eine. Aber noch schlimmer der innere Schmerz: Feststellen zu müssen, dass das eigene Volk den Gottessohn nicht aufgenommen hatte. Mit der Folge, deshalb in Sünde sterben zu müssen.“ Eine harte Konsequenz, die niemand damals hören wollte, als Jesus sie formulierte.
Es ist menschlich, aus Enttäuschungen heraus zu resignieren. Jesus konnte anders damit umgehen: Er wollte das Beste, stieß auf Ablehnung, und dennoch gab er sein Leben für das Heil der Menschen. Es war der ihm vorgezeichnete, einzigartige Weg. Die einzige Möglichkeit für die Menschheit, über sein Opfer zum Vater zurückzukommen. Deshalb nahm Jesus es auf sich.
„Es kann auch uns passieren, dass nicht mehr über den Glauben gesprochen wird, man ihn negiert. Empfindet man, dass die Seele dann leidet? Ich wünsche mir, dass wir uns mit Jesus auseinandersetzen. Er konnte trotz allem sagen: `Vater, behalte ihnen die Sünde nicht.` Er war kein engstirniger Kleingeist. Für den Gottessohn war es wichtig, die Wahrheit, das Wesentliche zu erkennen. Dass der Glaube sich entfaltet, Werke zeigt, nicht aufzugeben.“
Das Äußere - Petrus, der Rache nehmen wollte, zum Schwert griff - das war nicht Jesus` Welt. Er lehrte den Weg der Demut, des Unterordnens, Erleidens, sich selbst Zurücknehmens. „Wer mit dem Schwert kämpft, kommt darin um,“ wurde der Jünger von seinem Herrn belehrt. Paulus später erkannte, dass alles Leiden nicht ins Gewicht fällt gegenüber der Herrlichkeit, die der erfährt, der diese Unannehmlichkeiten auf sich nimmt. Auch wir müssen Leid auf uns nehmen, was manchmal als Schwäche ausgelegt werden könnte. Aber nur so können wir bleibenden Lohn bekommen: Eine Zukunft, in der wir mit Jesus in die Herrlichkeit einziehen können.
Der stellvertretende Leiter des Bezirks Tübingen, Werner Lampprecht, ging darauf ein, was J. Gründemann zu Beginn des Gottesdienstes angesprochen hatte: Er hatte das vom gemischten Chor gesungene Lied aufgegriffen: „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft… “ (Chorliederbuch I, Nr. 101, Text Jes 40,31). „Kraft erhalten, um vorwärts gehen zu können. Kein Spaziergang. Vielmehr erfordert das Konzentration auf das Wesentliche,“ so der Bischof. „Sich im Gottesdienst darauf konzentrieren. Auf die Wiederkunft Christi. Da wollen wir hin, koste es, was es wolle. Nicht sich im Alltag verzetteln. Jesus` Leidenszeit bewusst wahrnehmen, sie verinnerlichen. Sich klarmachen, was er für die Menschheit, für uns, auf sich genommen hat, nämlich alles, damit wir zu Gott kommen können. Dieses Erbe ergreifen und behalten. Er konnte das Böse durch seine Güte besiegen. Es gibt nichts, was den Menschen verzweifeln lassen könnte, das Jesus nicht auch erlebt hätte. Wenn wir ihm nachstreben, können wir uns freuen auf seine Wiederkunft!“, lautete der Appell des Bezirksevangelisten.
Ein Priester aus der Gemeinde Tübingen, der aus dem Bereich Ulm zugezogen ist, wurde auch von „seinem alten“ Bischof an den Altar gebeten: „Gott will uns nicht `ärgern` oder gar seine Allmacht `beweisen`. Das, was wir durchleiden müssen, unsere Sorgen, haben schon Gewicht. Aber alles dient dazu, dass wir seine Herrlichkeit erreichen können.“
Zur Vorbereitung der Sündenvergebung und Feier des heiligen Abendmahls sprach der Bischof besonders Jesus` Souveränität an. Trotz aller Leiden konnte er sagen: “Vater, vergib ihnen, was sie tun.“ J. Gründemann erinnerte an Stephanus, der nur ein Mensch war, aber im Steinhagel noch um Vergebung für seine Peiniger bitten konnte. Menschen können sich an Nichtigkeiten festhalten, vielleicht vergeben, aber auch vergessen? Wenn immer wieder derselbe Ärger durch ein und dieselbe Person aufkommt, dann besteht schon die Versuchung, auf das eigene Recht zu pochen…Ihr nicht erliegen, sondern hineinwachsen in eine Haltung, in der „so etwas so etwas“ nicht mehr auslösen kann.
Im Eingangsgebet hatte der Bischof Gott für Vieles gedankt, auch dafür, dass der himmlische Vater sich Zeit genommen hatte, „für uns“. Um die wäre es schade, wenn sich der Wunsch im Schlussgebet nicht erfüllen würde: „Lass nun uns diesen Ort nicht verlassen, ohne dass wir etwas mitnehmen!“