Auch die Jugendlichen konnten sich über den Altweibersommer an diesem Tag im Frühherbst freuen.
Das war den Gottesdienstbesuchern anzusehen, als sie am Sonntagmorgen in die Tübinger Kirche kamen. Nicht nur den Einheimischen, sondern auch denen aus dem Bezirk Nürtingen, die um 9 Uhr zwei Bussen entstiegen und gleich nach der Begrüßung fröhlich zwei Straßen weiter aufwärts (durchaus wörtlich zu nehmen) zum Kirchengebäude mehr liefen als gingen. Wie es zu diesem gemeinsamen bezirks- und sogar bereichsübergreifenden Gottesdienst unter Leitung von Bischof Georg Kaltschmitt, Apostelbereich Tübingen, gekommen war, wusste - angeblich - niemand mehr so recht. Spekuliert wurde, die Nürtinger hätten sich eventuell selbst eingeladen. Und wenn schon - ein herzlicher Empfang war ihnen sicher, ggf. schon wegen der guten Idee.
In Offb 3, 10 u. 11 ist der Bibeltext zu finden, der den Gottesdienst bestimmte. Ein ganz großes Thema darin: Geduld. „Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast,…“ heißt es da zu Beginn. Und es ist Gott selbst, der diese Worte spricht. Anlass, die Frage aufzuwerfen, wie stellen wir uns Gott vor. „Wie könnte er sein, so dass wir ihn begreifen, ihn sehen, wie er ist?“ fragte G. Kaltschmitt zu Beginn. „Ein älterer Herr, gesetztes Alter, oder vielleicht ein junger Mann in Jeans und Turnschuhen?“ Um es vorwegzunehmen, im weiteren Verlauf des Gottesdienstes wurde das Thema noch mal aufgegriffen und als Denkmodell auch die Möglichkeit einer weiblichen Erscheinung Gottes ausdrücklich angesprochen. Schließlich, so wurde schmunzelnd angemerkt, von der Chronologie der Schöpfungsgeschichte her war der Mann sozusagen der „Probelauf“, ehe die erste Frau geschaffen wurde. „So oder so sieht Gott aus, auf jeden Fall ist er - ohne zeitliche Beschränkung, ohne Alter, Kind und Greis, auch Jugendlicher oder irgendwo dazwischen. Gott ist einfach alles. Und daher weiß er gut, wie die Jugend denkt. Wenn man jung ist, kann alles nicht schnell genug gehen. Geduld hat da nicht gerade Priorität. Gilt übrigens vermutlich auch in späteren Altersstufen mehr oder weniger. Gerade heutzutage mit allen technischen Möglichkeiten, die auf ständigen Wandel setzen und nicht auf Ausdauer, Beharrlichkeit und Beständigkeit. Diese Vokabeln finden sich in neueren Bibelübersetzungen statt des Begriffs „Geduld“. Ausdauer etc. auch nicht gerade Sache der Jugend, bei der morgen „out“ ist was heute noch „in“ ist. „Die Botschaft des heutigen Tages lautet aber, trotz allen ständigen Wandels im Glauben festzubleiben, damit, `niemand deine Krone nehme`, wie es in Offb 3,11 am Ende heißt“, so G. Kaltschmitt. „Und es wird einfacher, Geduld zu üben, wenn man den Ablauf kennt: Es dauert seine Zeit vom Samen zur Ernte. Es ist einfach so in vielen natürlichen Dingen. Und im Geistigen kennen wir die göttliche Gesetzmäßigkeit, da spannt sich der Bogen über Jahrtausende. Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn. Gott hat mit uns Geduld, seien wir geduldig mit dem, was er verheißen hat. Das bewahrt uns vor der großen Trübsal, die über die Menschheit kommen wird und gegenwärtig vor den Versuchungen und Gefahren dieser Zeit. Beten wir darum, dass unsere Geduld nicht vor der Wiederkunft Christi zu Ende ist.“
Die beiden stellvertretenden Vorsteher der Bezirke Nürtingen und Tübingen, Uwe Zimmerer und Ulrich Güttler, hatten sich im Vorfeld gekümmert, damit dieser gemeinsame Gottesdienst zustande kam. Sie leisteten auch einen Beitrag zum Gottesdienst. Ersterer aus leidvoller eigener Erfahrung zum Thema Geduld sprechend. Mit dem Auto, weil ungeduldig, vor ein paar Wochen zu schnell unterwegs, Aquaplaning und - Totalschaden. Und, siehe da, daraus lernend, unlängst bei der Rückkehr aus dem Urlaub erleben, wie man von einem Reisebus, noch dazu voller Rentner, überholt werden kann. Und es platzt einem nicht der Kragen dabei. Ulrich Güttler führte aus „Ohne Geduld - geht es nicht im Leben. Ihr wollt das passende Studium, den richtigen Beruf, den Partner finden, den ihr euer Leben lang lieben könnt und dürft. Da heißt es auch in heutiger, schnelllebiger Zeit mal warten zu können und nichts zu überstürzen.“
Vor der Feier des heiligen Abendmahls ging es abschließend um Gottes Geduld mit den Menschen: „Heute vergeb´ ich dir nicht, gibt es nicht bei Gott!“ setzte G. Kaltschmitt den Schlusspunkt.
Die musikalische Umrahmung des Gottesdienstes war ein Gemeinschaftswerk beider Bezirke. Der Chor und die Chorleitung setzten sich aus Tübingern und Nürtingern zusammen. Lediglich Orgel- und Klavierbegleitung unterlagen dem Heimrecht oder der Heimpflicht, wie man es sehen will. Klappte alles wunderbar.
So wie auch das Catering für den sich anschließenden Brunch im Gartengeschoss der im Bauhausstil vor 80 Jahren errichteten Tübinger Kirche. Da wurde die Geduld nicht auf die Probe gestellt: Der Fleischkäse war pünktlich fertig und, entgegen anderslautender bischöflicher nicht ganz ernst gemeinter Befürchtungen, nicht verbrannt. Aber das gehört mit zu dem humorvollen Ausklang nach dem Gottesdienst. Da wies G. Kaltschmitt nicht nur auf die Schönheit des Kirchengebäudes hin, sondern auch auf die Tübinger Besonderheit des Aufeinandertreffens zweier Welten: die akademische Lebens- und Ausdrucksweise der Professoren der „Oberstadt“ und die gelegentlich ungehobelte Art (obgleich man sich alles immer nur im Guten sagt) der pragmatischen Tübinger Wengerter, genannt Googen, im unten zum Ammertal gelegenen eher ländlichen Teil Tübingens.