19. April 2011 – 7. Kulturtag der Seniorengruppe Herrenberg/Gäu Frühling ließ sein blaues Band… über die Ausflügler flattern, die mit der Ammertalbahn von Herrenberg nach Tübingen zu einer Altstadtführung gefahren waren.
In einem urigen Lokal, untergebracht in einem mehr als 250 Jahre alten Fachwerkhaus am Lustnauer Tor, stärkte man sich ausreichend für die weiteren Anforderungen des Tages. Dafür sorgte sowohl in physischer Hinsicht – in der alten Universitätsstadt geht es reichlich auf und ab – als auch in geistiger Hinsicht – kulturell ging es munter vor und zurück durch die Jahrhunderte – ein Stadtführer: der stellvertretende Leiter des Bezirks Tübingen im Ruhestand, Manfred Bayer, hatte dieses Funktion übernommen. Sachkundig, humorvoll, liebenswürdig und keineswegs ruppig wie ein Tübinger Goge, dessen Raubeinigkeit legendär ist, waltete er seines nicht mehr ganz neuen Amtes.
Zuerst ging es zum Ammerkanal, seit 1290 die Lebensader für die Stadt. Ganz in der Nähe verweilte man am "Nonnenhaus", in dem Prof. Leonhard Fuchs ( 1501-1566 ) lebte, übrigens Namensgeber der Fuchsie. Er legte einen Kräutergarten an, den 1. Botanischen Garten, und sammelte alles Wissen über diese besonderen Gewächse mit Würz- und Heilkraft, von ihm im ersten Kräuterbuch ( s. Stein als „Buch“ auf dem Foto) veröffentlicht. Es folgte der Gang zum "Wilhelmsstift", 1280 als Franziskanerkloster gegründet. Nach der Reformation wurde es von 1588-1592 umgebaut zum "Collegium illustre", einer Ausbildungsstätte des protestantischen Adels. Über dem großen Tor ist das Wappen des Herzogtums Württemberg, aufgeteilt in 4 Felder mit den 3 Hirschstangen, den Rauten der Teck, der Reichssturmfahne und den 2 Fischen von Mömpelgard (heute Frankreich, von 1395 - 1800 württembergisch). Der Weg führte weiter bergauf zum "Holzmarkt". Hier machte Hermann Hesse, später Nobelpreisträger für Literatur (geb. 1877 in Calw, 1962 gestorben bei Lugano ) eine Lehre zum Buchhändler bei Heckenhauser. Direkt vom Holzmarkt führen Treppen zur "Stiftskirche", erbaut von 1470-1490, die die 3. Kirche an diesem Platz ist. M. Bayer erklärte ihren historischen Werdegang und das jetzige „Innenleben“, mit Fensterbildern von Stockhausen - das eine "Maria im Strahlenkranz" mit 6 weihnachtlichen Motiven - und das "Passionsfenster" mit 6 Bildern zur Passion Christi und 9 zu Werken der Barmherzigkeit. Sehr eindrucksvoll sind auch der Passionsaltar (1520) von Hans Schäufelein und der Lettner, der den alten hochgotischen Chor und das Kirchenschiff trennt. Auch findet man hier die Grablege der württ. Herzöge. Taufstein, Kanzel und Fenster im Chor stammen aus der Zeit um 1489. Von den 7 Glocken der Kirche ist die älteste "Dominika" (aus dem Jahr 1411). An der "Alten Aula" von 1547 strebte die Gruppe einem weiteren Höhepunkt zu: der "Burse", erbaut von 1480-1483. Sie war die Artistenfakultät der 7 freien Künste. Bekannte Protagonisten sind Philipp Melanchthon und Wilhelm Schickard (1623 erste mechanische Rechenmaschine). Das Gebäude wurde 1806 zur 1. Klinik, in der Friedrich Hölderlin 231 Tage lang, leider erfolglos, behandelt wurde. Er schrieb verzweifelt: "Im heiligsten der Stürme falle zusammen meine Kerkerwand, und herrlicher und freier walle mein Geist ins unbekannte Land." Noch heute steht am Neckar der Turm, in dem Hölderlin in geistiger Umnachtung, umsorgt von Lotte Zimmer, seine Tage verbrachte. Ihr, die in ihrer schlichten, herzensguten und tatkräftigen Art sich um den Kranken kümmerte, ist vor der Tübinger Burse ein Denkmal gesetzt worden. Die Besichtigung ging weiter mit dem Ev. Stift, ein ehemaliges Augustinerkloster aus der Zeit um 1260. 1547. Nach der Reformation nutzte man es als Wohn- und Studienanstalt für ca. 150 Theologiestudenten. Mit mehr oder weniger Begeisterung (seitens der Studenten) wurden hier u. a. Kepler, Hölderlin, Mörike, Hegel, Schelling, Gerok ausgebildet. Und weil dieser Tag im April ein so wunderschöner war, zitierte M. Bayer aus Eduard Mörikes (1804-1875) Gedicht, eben das vom blauen Band des Frühlings.
Weiter ging es an der "Arche" vorbei (ein Haus mit 9 Eingängen, also 9 „Eigentumswohnungen“ alter Zeit), den Klosterberg-Aufgang hinauf zum "Faulen Eck", Geburtshaus von Ludwig Uhland (1787-1862) sowie Albert Knapp ( Dichter von Kirchenliedern und Mitbegründer des Tierschutzvereins). Es folgte der Marktplatz, dominiert vom prächtigen Rathaus, erbaut 1435. Die Ausflügler bewunderten: die astronomische Uhr von 1511; Graf Eberhard im Barte, abgebildet als Herzog 1495; Wappen und Bilder von Persönlichkeiten der Tübinger Geschichte, z. B. Konrad Breuning, 1514 "Tübinger Vertrag“, J .F. Cotta, Verleger u.a. von Goethe und Schiller, Ludwig Uhland - Gedicht über die Wurmlinger Kapelle: " Droben stehet die Kapelle, schauet still ins Tal hinab...". Ein letzter Blick galt dem Neptunsbrunnen, 1616 von Heinrich Schickard erschaffen (Nachguss 1948).
Damit endete der historische Rundgang. Alle waren begeistert von der Führung, die das „alte Tübingen“ durch Jahrhunderte hindurch in der Gegenwart lebendig gemacht hatte.
Ein großes Danke an alle Beteiligten – Organisatoren, Mitreisende, Manfred Bayer und, last, not least, die himmlischen Mächte, die für den wunderbaren Frühlingstag am Schönbuch gesorgt und alle wohlbehalten, voller schöner Erinnerungen nach Haus kommen ließen.