Ein Fest für alle in der Gemeinde, nicht nur für die beiden Eheleute und ihre Familie
Herr, leucht in uns mit deiner Gnad,
wenn uns des Nächsten Wort und Tat bringt Kränkung, Leid und Schmerzen.
Lass ganz uns rein uns ihm verzeihn in Wahrheit und im Herzen.
(Text Victor Friedrich von Strauß und Torney, 1809 – 1899)
Das Zitat ist dem Bußlied des Gottesdienstes unter der Leitung von Gemeindevorsteher Arndt Bayer entnommen. Er sprach gleich zu Beginn des Gottesdienstes die beiden an, die an diesem Sonntagmorgen nach 65 Jahren Ehezeit Gottes Segen erhalten sollten:„Liebe Helene, lieber Heinz (Matt).“
„Von der brüderlichen Liebe aber ist es nicht nötig, euch zu schreiben. Denn ihr selbst seid von Gott gelehrt, euch untereinander zu lieben.“ (1. Thess 4, 9). Zum eingangs verlesenen Bibelwort für den Gottesdienst hieß es: „ Wie viele Gesetze und Verordnungen mag es, nur auf Bundesebene, in Deutschland geben? Insgesamt rund 80.000.“ Und jetzt kommt die gute Nachricht: Wie viele Gesetze der Christen? Nur zwei bzw. eines mit zwei „Seiten“ sind es. Jesus spricht: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst. (Mt 22, 37 ff). Arndt Bayer nahm das Kreuz, das christliche Symbol, als Bild: Da gibt es die eine Linie, die senkrecht nach oben, zu Gott, zeigt. Und die waagerechte, die zu den Seiten geht, dem, was rechts und links um mich her ist. Zur „brüderlichen Liebe“ braucht es nach dem Bibelwort keine Ausführungsverordnung. Herausfordernder ist der zweite Satz. Weil die „Liebe untereinander“ die abstrakte Liebe zu Gott konkret werden lässt. Wer Gott liebt und hasst seinen Bruder, seinen Nächsten, der ist unglaubwürdig. (vgl. 1. Joh 4, 20).
Wer ist der Nächste? Der Vorsteher nannte das Beispiel vom Barmherzigen Samariter. (Lk 10, 25 ff). Er allein schaute nicht weg, als er das Elend des unter die Räuber Gefallenen sieht, etwa, weil der Verletzte die eigenen Vorhaben hindern könnte. Da kommt kein Vorurteil von wegen selbst schuld, wenn er sich in Gefahr begibt. Der Samariter half. Der Nächste für dich ist der, für den du es sein sollst.
Wie sieht Nächstenliebe aus? Schau nicht weg. Schau hin. Freu dich mit dem Anderen. Aber weine auch mit ihm. Sei wie Gott, der jeden liebt: ohne Vor-Urteil. Üb tätige Barmherzigkeit. Sieh das Gemeinsame, nicht den Unterschied. Sieh in allen Christus, das verbindet uns.
Das könnte einen Einzelnen überfordern. So viel Elend in der großen weiten Welt. Schon zu viel davon in meiner eigenen kleinen. Wo soll ich überhaupt anfangen? Nein, du wirst die Welt nicht retten. Jesus auf Erden schaffte es auch nicht, alle Menschen satt, gesund, glücklich zu machen. Nächstenliebe konkret werden lassen, ist ein Projekt, das aus vielen kleinen Schritten besteht: hinschauen, abgeben, für den anderen beten, ihn mal in den Arm nehmen. Das ist alles andere als ein Weltverbesserungsprojekt. „Aber es ist die Vorbereitung auf das ewige Leben bei Gott, das beginnt, wenn er seinen Sohn schickt, um die Seinen zu ihm zu holen.“
Nach Sündenvergebung und Feier des heiligen Abendmahls hieß es noch einmal: „Liebe Helene, lieber Heinz!“ Der Vorsteher wandte sich den beiden Jubilaren zu. „Wir haben in der letzten Woche zusammen gesessen und Vieles noch einmal Revue passieren lassen.“ Der Ehemann war im Jahr 1933 getauft und wurde später von Bezirksapostel Karl Gutbrod (1869 – 1940) versiegelt, den Tübingern in Erinnerung wegen dessen Einsatzes für den Bau ihres heutigen Gotteshauses. Später hatte Heinz „seine“ Helene entdeckt, und für ihn stand fest, dass nur sie seine Braut werden solle. 1956 wurde geheiratet. Jetzt sind es 65 Jahre Ehezeit geworden und noch immer stehen sie „bombegrad“ da. Sicher, es gab Höhen und Tiefen, auch manche „Delle“ bis zur Eisernen Hochzeit. Die Bezeichnung eines Ehejubiläums, die einen stutzen lässt. Da kommen erst die Edelmetalle, dann Juwelen und beim 65. nur noch eisern? Macht schon Sinn. Eisernes, das kann ein wenig rostig sein, aber es bleibt stabil. Nicht rostig, sondern rüstig wie die beiden. Die durchaus in der Gegenwart angekommen sind. Und auch Pläne haben und umsetzen. Ein weiterer Grund zur Dankbarkeit und Freude: Das erste Urenkele ist da. „Der Segen von 1956 bleibt. Gott ist nicht vergänglich. Das heute ist ein ´Erinnerungssegen´. Gott sagt, ich möchte mit euch auch in die Zukunft gehen. Lasst mich den Überbringer dieses Segens sein: Gott, der Vater, euer Schöpfer, bekräftigt seinen Segen. Er sichert euch weiter seine Kraft zu.“
Nach Gebet und Schlusssegen, was lag da näher, als an diesem Festtag im Gemeindegesang „Großer Gott, wir loben dich…“ anzustimmen. Danach sorgte Andreas Ostheimer an der Orgel furios und dynamisch für den freudigen Ausklang.