Sehnsucht nach Gottes Nähe, eine Einladung an alle, zu ihm zu kommen, Vertrauen in ihn, Hoffen auf ihn und die Sicherheit, dass dies alles auch erlebt werden kann...,
das drücken die Texte der von einem Trio - Violine, Cello, Bass - vor dem Gottesdienst gespielten Lieder aus. Bischof Urs Heiniger setzte das im Eingangsgebet fort: "Gott loben und danken können, im Herzen eine geistige Verbindung und ein Stück Himmel fühlen. Der Glaube möge Sorgenberge versetzen und trösten, auch im tiefsten Tal der Verzweiflung die Hoffnung geben, dass das nicht das Ende ist.
Nach der Verlesung des Bibelworts für den Gottesdienst spielte das Instrumental-Trio den altvertrauten Choral "Ein feste Burg ist unser Gott,..." (Text und Melodie Martin Luther, 1483 - 1546, Gesangbuch der neuapostolischen Kirche Nr. 142). "Die feste Burg in unserer Zeit - die Kirche in Herrenberg, ein Gotteshaus, gelegen unterhalb der Stiftskirche, der ´Glucke vom Gäu` - dieses Bild vermittelt ein sichtbares Zeichen dafür: Unser Herr ist die Burg." So der Bischof, bevor er auf das Textwort einging.
"Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein." (2. Mose 14, 14) Heiniger erläuterte den Kontext: Damals - endlich war es so weit. Mose durfte das Volk Israel aus Ägypten führen. Er nahm einen Umweg, der direkte hätte durch ein Kriegsgebiet geführt. Da waren Konflikte möglich. Ist es nicht so, dass Gott- aus gutem Grund, den wir oft erst im Nachhinein erkennen - auch mit uns manchmal einen Umweg geht? Damals kamen die Probleme: Von den Ägyptern verfolgt, vor dem Meer stehend - und jetzt? Schon war der Gedanke da, dass man besser in Ägypten geblieben wäre. Uns kommt auch schnell in den Kopf, dass man selbst doch alles besser gewusst und anders gemacht hätte. Aber: Der Herr wird für euch streiten und ihr werdet stille sein. Gottes Strategie ist immer dieselbe geblieben: Er ist Burg und Sicherheit.
Wie oft sehen wir Schwierigkeiten. Jetzt, die Pandemie, seit mehr als einem Jahr und schon ist die nächste Welle des Unheils da. Vergiss es nicht: Der Herr wird für dich streiten. Es kommen Sorgen - wie geht es mit meiner Gemeinde weiter? Wird es die danach überhaupt noch geben? Vergiss es nicht: Gott hat die Strategie. Ja, es kann Gemeindezusammenlegungen geben. Und? Darin kann man auch eine Bündelung von Kräften sehen. Denn, Gott ist mit uns.
Wir wollen das Evangelium verkünden. Was bedeutet, es zu verkünden? Wie wenige interessieren sich noch dafür. Da geht es um Nächstenliebe. Und, was ist zu hören? Erst ich. Ich muss zuerst geimpft werden, damit ich meine Freiheiten wiederhabe. Wie schnell wird alles auf die eigene Sicht reduziert. Aber, der Herr wird für uns streiten. Er wird uns im Sturm bewahren. Das Evangelium lehrt, die Frage zu stellen, wie geht es meinem Nächsten.
Ich muss mich auch nicht daran versuchen, das Evangelium selbst auszulegen. Jesus Christus tut es. Das heute Abend ist "nur" ein Gottesdienst per Live-Stream (statt eines ursprünglich geplanten Präsenzgottesdienstes in der Gemeinde Gärtringen). Ist das ein Gottesdienst? Für den ist wesentlich, dass ich mich darauf innerlich einstelle und die Verbindung zum Herrn suche. Wie oft erleben Amtsträger bei einem Krankenbesuch, dass man sich darauf vorbereitet, sich sonntäglich gekleidet hat, auch wenn man nicht ins Gotteshaus gehen kann. Dem Besucher kommt freudige Erwartung entgegen. Wir vertrauen auf den himmlischen Vater. Er wird helfen.
Nein, ich habe keine exklusiven Rechte. Gott hat dich und mich als sein Werkzeug berufen. Er wird für uns streiten. Dabei haben wir die Aufgabe, ihn und den Nächsten in den Mittelpunkt zu stellen. Und nicht die eigenen Probleme.
"Stille sein." Das bedeutet nicht, zu schweigen. Vielmehr gelassener zu werden und Ruhe und Frieden im Herrn zu verspüren. Still sein bedeutet auch nicht, sich einfach aufs Abwarten zu beschränken. Vielmehr die enge Verbindung zur eigenen Gemeinde pflegen, auf welche Art auch immer. Eigene Versuche scheitern? Nicht resignieren, denn - der Herr wird für uns streiten. Nicht aufgeben, sondern Vertrauen zu Gott behalten. Nicht unsere eigenen Lösungsvorschläge verfolgen. Vielmehr Gott "einfach" um Hilfe bitten. Auch wenn das Volk Israel damals Umwege machen musste, blieb der Blick aufs Ziel, nach vorn gerichtet. "Denn sonst werden wir Opfer der Unruhe dieser Zeit."
Priester Benjamin Zahn, stellvertretender Gemeindevorsteher in Herrenberg, schilderte die Situation vor Ort in der Herrenberger Kirche - insgesamt neun Anwesende. Daher war es ungewohnt still. Und trotzdem gab es die miteinander verbundene große Gemeinde im gesamten Bezirk Tübingen. Lärm und Geräusche fördern Stress, Unruhe, Unfrieden, Streit. Man kann dem lieben Gott das "Spielfeld" überlassen und muss sich selbst nicht immer einmischen und zu allem und jedem seine Kommentare abgeben. Das ist kein Aufruf zur Passivität. Aber, wenn wir aus unserer Sicht alles uns Mögliche getan haben, dann dürfen wir dem himmlischen Vater getrost das Spielfeld überlassen.
Vor der Sündenvergebung Urs Heiniger: Natürlich fällt uns das schwer mit dem Überlassen des Spielfelds. Das Volk Israel damals kam auch schnell auf zweifelnde Gedanken: Sollte Gott wohl gesagt haben? Hätten wir bloß nicht auf Mose gehört... Durch seine Gnade löst Gott jeden Widerspruch auf. Er lässt uns Stille, ein Stück der Herrlichkeit, erleben. Nimmt unsere Sünden hinweg und Ärger und Enttäuschung durch andere in den Hintergrund treten, denn Gott liebt auch meinen Nächsten. Wenn Gott das kann, dann kann ich das auch! "Wir werden nicht in der Wüste verhungern."
Den passenden musikalischen Schlusspunkt setzte nach dem Gottesdienst das Instrumentaltrio:
"Abide with me - Herr, bleib bei mir..."
(Melodie und Satz William Henry Monk, 1823 - 1889, neuap. Gesangbuch Nr. 170)