Bischof Urs Heiniger hält am 6. Juli 2019 den Gottesdienst für Entschlafene in Tübingen. Als Textgrundlage diente Markus 6, 34: „Und Jesus stieg aus und sah die große Menge; und sie jammerten ihn, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er fing eine lange Predigt an.“
Du bist eingeladen.
Der gemischte Chor eröffnete den Gottesdienst mit dem Ruf „Kommet her, kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen“. Bischof Heiniger griff diese Einladung auf: „Komm Du, es ist eine Einladung an Dich ganz persönlich, komm doch ganz nah. Sei ganz Seele und überwinde, was Dich belastet.“ Dies war als Einladung für alle sichtbar Anwesenden gedacht, die Alltagssorgen hinter sich zu lassen, sollte aber auch in die Ewigkeit hinein wirken.
Denn wenn wir „ganz bei ihm sind“, habe es die Wirkung wie im beschriebenen Textwort: Alle Menschen werden eingeladen, egal welcher Herkunft, egal wie klug, denn Gott und seine Gesandten machen keine Unterschiede. Stattdessen sehen sie die Seele. So sei auch Jesu Wort zu verstehen: Er sprach jeden Menschen an und sein Wort wirkte in die Länge, gleichsam in die Breite und Tiefe. Dies sei mit „lange Predigt“ gemeint.
So soll das Wort heute auch in die Länge, das heißt heute ganz besonders: in die Vergangenheit wirken. Hier sind die Entschlafenen zu finden. Sie sind in manch schwierigem Seelenzustand: Nach Katastrophen und Schicksalsschlägen fragen sie sich, warum Gott so etwas zulässt (1). Oder sie haben Gewalt erfahren und können dies nicht vergeben (2). Sie sind vielleicht orientierungslos, weil ihnen Lügen erzählt wurden (3). Wenn die Predigt heute in die Länge wirkt, kann sie diesen Seelen den Weg zum Heil aufzeigen.
Was macht uns glaubwürdig?
Die Apostel sind es, die den Weg zum Heil aufzeigen. „Fühlst Du Dich als Apostelhelfer?“, fragte unser Bischof in dieser Konsequenz. Denn unser Leben soll hinüberstrahlen und helfen, die Trennung mit Gottes Gnade zu überwinden. Wir, die Gemeinde, sind Vorbild, Leuchte, Wegweiser hin zu dieser Gnade. Dazu müssen wir aber glaubwürdig sein: Ist der Gottesdienst für uns zu Ende, wenn er endet – oder wirkt er in die Länge? Wenn der Glaube für uns lebensbestimmend ist, machen wir zwar trotzdem Fehler, aber es macht uns erst glaubwürdig.
Unser Vorbild kann dann zeigen, wie die drei beispielhaft genannten Seelenzustände überwunden werden können: (1) Wir glauben daran (und strahlen aus), Gottes Liebe wirkt in die Länge - egal, was er zulässt oder uns wiederfahren ist. (2) Wenn man selbst Gnade erfährt, kann man auch vergeben; Gottes Gnade ist die Grundlage dafür. (3) Orientierung soll uns Jesus sein. Dass er ein Maßstab ist, der sich nicht „verschiebt“, gibt uns Gewissheit. Das Heilige Abendmahl stärkt diese Gewissheit.
Erwarten wir das Richtige.
Evangelist Carsten Dehner machte in seinem Predigtbeitrag darauf aufmerksam, wie erstaunlich doch Jesu Reaktion auf das sichtbare Elend war. Wenn er helfen wollte, warum tat er dann nicht Wunder, heilte Kranke, speiste die Hungrigen und vergab Sünden, wie er es so oft getan hatte? Dass er zuerst predigte, zeigt uns auf, wie der Heilsweg Gottes angelegt ist: Aus dem Wort kommt Glaube. Erst dann kann uns geholfen werden.
Dies gab Bischof Heiniger das Stichwort zur Überleitung auf das Heilige Abendmahl: Was erwarten die Entschlafenen? Was erwarten wir? Wie oft folgt Enttäuschung falscher Erwartung. Daher müssen wir Gott unser ganzes Herz schenken, alles hineinlegen – ohne zu wissen, was daraus wird. Gott macht dann Gnadenangebote, belehrt uns aber nicht. Dies ein weiterer Hinweis, wie unser Wesen sein muss: Auch wir dürfen nicht belehren. Allein unser Vorbild darf wirken.
Dank an die Musiker
Nach der Feier des Heiligen Abendmahles leitete ein Orchesterensemble mit dem Stück „Lead me gently home, father“ zum Fürbittgebet für die Entschlafenen über. Es wundert nicht, dass Bischof Heiniger nach dem Schlussgebet um ein letztes Stück Musik bat, das „sicher wieder perfekt passen wird“. So wenig wir vom Wesen der „jenseitigen Welt“ konkret wissen, die Musik hätte uns in diesem Gottesdienst immer wieder eindrücklich davon erzählt. Hier sprach er seinen Dank all denen aus, die sich heute in der Musik engagiert hatten.