"Die Markthalle Stuttgart und ihre Geschichte"
Insgesamt 16 Teilnehmer, auch, aber nicht nur aus Herrenberg und dem Gäu, kamen am späteren Vormittag vor der Markthalle zusammen. Es war zu merken, dass im Mai viele die Feiertage nutzen, um zu verreisen, so dass nicht alle teilnehmen konnten, die sonst mitkommen. Die meisten waren per Bahn aus Herrenberg und ein Teilnehmer, ganz sportiv, mit dem Fahrrad aus Aichschieß (Fahrtzeit eine reichliche Stunde) gefahren. Auf Nachfrage einräumend, dass er inzwischen, altersadäquat, ein E-Bike für seine Unternehmungen bevorzuge. Unsere Markthallen-Führerin stellte sich vor als Zugereiste, seit 1967 in Stuttgart lebend, aber des Schwäbischen nicht mächtig. Was sie bedauere, denn das wissen auch und gerade die Zugereisten, dass man, dieser Mundart mächtig, verbal wunderbar saugrob sein kann, ohne Gefahr zu laufen, andere damit zu verletzen.
Zuerst gab es eine Führung ums Gebäude herum. Erbaut wurde es von 1912 bis 1914. Gezeigt wurde uns ein Eingang - jetzt der zur Hausmeisterwohnung - mit der alten Adressangabe für das Gebäude: Alter Schloßplatz 1. Heute eine ganz exklusive Adresse und ebensolche Lage der Wohnung. Mitten im Zentrum gelegen mit Blick auf den völlig neu gestalteten, jetzt riesig wirkenden Sporerplatz.
Vorn an der Markthalle befindet sich die "bürgerliche" Seite mit zwei Eingängen. Oben über dem Mauerwerk ist ein riesiges Glasdach, völlig neu für die Entstehungszeit des Gebäudes. Obgleich in einem geschlossener Raum, sollten die Waren im Inneren quasi bei Tageslicht angeboten werden können und so ihre Farbenpracht zum Kauf anreizend ins richtige Licht setzen können. Lüftungsklappen gibt es auch. Allerdings bis heute nur manuell zu betätigen. Sowohl der Denkmalsschutz als auch schwäbische Sparsamkeit haben es bis heute verboten, entsprechende Mechanik zur elektronischen Steuerung einzubauen. Bedeutet konkret, dass sich, je nach Witterungsverhältnissen, Beschäftigte der Stadtmarketing Stuttgart, die jetzt die Markthalle betreibt, über die Simse der oben gelegenen Hausmeisterwohnung aufs Dach hangeln müssen, damit die jeweils adäquate Belüftung gewährleistet ist.
Mit Halt auf dem Sporerplatz wurde das Gebäude beim Außenrundgang in Augenschein genommen und erklärt. Von dort sind im Hintergrund links die Schlosskirche und rechts das Alte Schloss zu sehen. Die Rückseite der Markthalle ist ihre fürstliche, der Nachbarschaft zum Schloss geschuldet. Jugendstilelemente zur Verzierung und das (alte) Stuttgarter Stadtwappen gab es zu bewundern. Im Obergeschoss eine lange Balkonbalustrade, mit Gartenmöbeln in allen Farben und blühende Blumen, aber leider fehlt ein Cafébetrieb, der zum längeren Verweilen einlädt. Vor dem Gebäude eine Zufahrt, Arkaden davor, deren Säulen wiederum mit seitlichen angebrachten Halbpollern geschützt, damit die Wagen, mit denen die Waren hereingebracht werden mussten, bloß keine Beschädigung des kostbaren eigentlichen Gebäudes verursachen konnten.
Von der fürstlichen Seite aus ging es in die Halle hinein. Gleich vorn auf dem Boden die Erinnerung an einen vor Jahren dort gedrehten "Tatort" - die Konturen einer Leiche mit blauem Klebeband gekennzeichnet. Das Blut sei schon entfernt worden zwischenzeitlich, wurden die Besucher vorher von der Führerin beruhigt. Dort auch zu sehen: Stuttgarts wohl älteste Straßenbahnschienen. Ja, bis in die Halle hinein verlegt. Man habe die beladenen Wagen mit Manpower von der Straße dort hineingezogen. Der Wahrheitsgehalt ist nicht ausreichend belegt, aber eine schöne Geschichte ist es trotzdem.
Die Historie der Markthalle wurde ausführlich geschildert. Zuerst die jüngere Zeit: Im Zweiten Weltkrieg durch Bomben erheblich zerstört. Danach wieder aufgebaut und in den 1960er Jahren in "schwere See" geraten. Einkaufen in der Markthalle wirkte angesichts bequem mit dem Auto anzufahrender Supermärkte auf der grünen Wiese altbacken und lag nicht mehr im Trend. Was tun? Halle abreißen, das zentral gelegene Gelände mit supermodernen Neubauten nutzen? In Stuttgart braucht man fürs Überlegen zum Glück länger und 1987 durchkreuzte alle Vernichtungsstrategien der Denkmalsschutz. Vor der Zerstörung waren es vierhundert Marktstände, heute sind es noch 32. Damals nutzte man auch das Obergeschoss für einzelne Anbieter, heute hat ein einziger das gesamte Obergeschoss zur Nutzung. Man bekommt dort all die schönen Dinge, die man eigentlich nicht wirklich braucht, die aber wunderbar anzuschauen sind.
Erläuterungen zu einzelnen Ständen folgten. Da gibt es den mit Käse aller Art, halt für "die schleckige Gosch". Berüchtigt der "Schwiegermutterkäse", mit einer ins Orangefarbene gehenden Paste bestrichen. Umschrieben wie folgt: "Erscht merkt man nichts und dann wird`s scharf." Dabei soll es ausgesprochen liebenswerte Schwiegermütter geben. Ein türkisch/griechischer Stand wurde gezeigt, im Angebot 32 verschiedene Olivensorten. Ein Stand mit Reissorten aller Art und Gewürzen, auf 15 Quadratmetern ganz Asien, wie die Betreiber ihn beschreiben. Dazwischen der Stand einer namhaften Herrenberger Bäckerei, die die Teilnehmer aus dem Gäu bestens kannten. Klar, dass deren Spitzenprodukte Markthallen würdig sind. Einhellige Meinung. Und ein Grund mehr, an den regelmäßig stattfindenden Kaffeenachmittagen in der Herrenberger Kirche teilzunehmen. Denn wo werden wohl Kuchen und Brezeln dafür besorgt?
Ja, und das alles war ein Härtetest beim Rundgang, denn es war untersagt, der Versuchung zum sofortigen Verkosten und Einkaufen zu unterliegen. Gerlinde Kleemann, die Organisatorin der Kulturtage, wies darauf hin, dass die Führung nicht unterbrochen werden durfte, damit die fürs Mittagessen in einem Lokal in der Markthalle reservierten Plätze um 12.15 Uhr pünktlich eingenommen werden konnten. Gut so, wussten die schwäbischen Teilnehmerinnen. Hungrig würde man eh viel zu viel einkaufen. Hingegen, gesättigt nach dem Mittagessen, sei diese Gefahr gebannt. Nicht unerwähnt bleiben darf auch ein Marder, der vor ein paar Jahren in der Markthalle sein Unwesen trieb. Dazu muss man wissen, dass nicht alles an Lebensmitteln abends weggeräumt werden kann. Also bleibt schon mal ein Stapel von Eiern vor dem Stand am Abend dort stehen. Und da kann auch mal ein Ei beschädigt werden. Aber jeden Morgen wieder Eierschalen vorfinden ... leer oder beschädigt??? Der Betreiber des Stands hatte eine Idee, wie man dem Täter auf die Spur kommen könne. Abends Mehl ausstreuen in der Umgebung des Tatorts. Und? Eindeutig Marderfußspuren. Und jetzt? Ein großes Thema bei allen. Jeder beteiligte sich am Mardervergrämungsprojekt. Kundenfreundlich, Marder am Leben lassend usw. sollte es sein. Eines Tags - war das Tier verschwunden und ward nicht wieder bemerkt. Die Teilnehmer der Führung vermuteten ein Ableben aufgrund Fresssucht und deren lebensverkürzenden Folgen.
Vor dem Ceresbrunnen, der Göttin gewidmet, die für Blumen und Früchte zuständig ist, wurde ausführlich die Geschichte der Markthalle geschildert. Wen wundert es - ins Spiel kam der schwäbische Baumeister Heinrich Schickhardt, der überall in Württemberg seine Spuren hinterlassen hat. Er musste den damals regierenden Württemberger Herzog auf eine Italienreise begleiten. Der war begeistert von den Palazzi dort und also musste so etwas nach Stuttgart. Schickhardt baute daher im 16. Jh. den sogenannten "Neuen Bau", als Kunstkammer und Marstall. 100 Jahre später befand ein Nachfahre des Herzogs, das Gebäude sei so eigentlich zu nichts nutze. Es wurde zum Theater umgebaut. Das rächte sich. Gleich nach der Premiere brannte es ab. So entstand freies Gelände mit Ruinen darauf. Schon ab dem frühen 14. Jh. hatte es in Stuttgart erste Märkte in der Innenstadt gegeben. Der Platz dafür reichte nicht mehr und da begannen die Marktfrauen, ihre Stände auch auf dem benachbarten Ruinengrundstück aufzubauen. Im eiskalten Winter 1860/61 soll eine junge Verkäuferin, weil ungeschützt in der Kälte sich aufhalten müssend, erfroren sein. Der fürsorgliche Landesvater, Herzog Wilhelm I., wollte "seine" Marktweiber und deren Töchter vor diesem Schicksal bewahren. Deren Ehemänner und Vater fanden das gar nicht nötig. Ihre Frauen und Töchter seien nicht so zimperlich. Trotzdem entstand 1864, inzwischen regierte Herzog Karl, der Vorläufer der heutigen Markthalle. Stuttgart hatte da 60.000 Einwohner. Um 1900 waren es schon 176.000. Da musste eine neue Markthalle her. Es gab einen Architektenwettbewerb, den unter 64 Bewerbern Martin Elsässer für sich entscheiden konnte. 1914 erfolgte die Einweihung. Eine Hausordnung gab es auch - kein Ausspucken, Lärmen, lautes Ausrufen und zielloses Herumtreiben in den "heiligen" Hallen... Elsässer war Perfektionist, was so weit ging, dass bei dem oberen Gang auf der zweiten Etage wie in einem Klostergang nur zwei der vielen Säulen dort sich gleichen. Der Ceresbrunnen hat seine eigene Geschichte. 1916 von einem Förderverein gestiftet, wurde auch er im Zweiten Weltkrieg zerstört und durch zahlreiche Spenden konnte er wieder aufgebaut werden.
In die Unterwelt ging es auch noch. Seit 2014 ist bei Führungen ein Teil der sieben Meter unter dem Erdgeschoss liegenden 2.000 Quadratmeter im Keller zugänglich. Alles im Original erhalten, weil im Krieg nicht zerstörbar. So konnte er auch als Luftschutzbunker genutzt werden. Die Führerin berichtete von alten Stuttgartern, die die Bombennächte dort erlebt hatten. Eine von ihnen konnte sich ganz bewegt daran erinnern, dass einmal dort auch ein Kind geboren wurde, während oben die Bomben fielen. Peinlichst genau sind die Räume unten vermessen und ihren Nutzern zur Verfügung gestellt, durch Holzlatten abgegrenzt und verschließbar. Die jeweilige Flächenzahl ist auf der Tür vermerkt, mit Maßangabe in Quadratmetern, auf die zweite Stelle nach dem Komma genau. Und Quadratmeter - da malte man ein Quadrat und setzte ein "M" dahinter. Noch heute in Originalschrift zu besichtigen. Da man seine Vorräte schützen musste konnte unten in der Tür eine Öffnung frei gemacht werden, um abends die Katz hineinzulassen. Was eine der Besucherinnen daran erinnerte, dass die eigene Freigängerin vielleicht doch mal wieder für eine Nacht ins Haus sollte.
Die Preise für die Verkaufsflächen - eines der bestgehüteten Geheimnisse. Aber, wie ein Insider gesagt haben soll, weniger Miete als auf der Königstraße sei zu zahlen. Die - relativ - frühen abendlichen Verkaufsschlusszeiten, die man bemängeln könnte? "Wo einer flaniert, muss mindestens einer schaffen.", ist da die einleuchtende Begründung, zumal auch eingekauft, eingeräumt und wieder abgeräumt werden muss. Wenn der Laden schließt, ist noch lange kein Feierabend.
Schließen wir den Bericht mit Worten aus der Rede, die Martin Elsässer anlässlich der Einweihung der Markthalle hielt: "Ein Marktraum sollte geschaffen werden, in den das Publikum gern hineingeht." Das ist gelungen und gilt auch noch heute, mehr als 100 Jahre danach.
Herzlichen Dank an die Organisatorin, die wieder mal dafür gesorgt hat, auf unterhaltsame Art Neues entdecken zu dürfen.