Die Beutau, das alte Esslinger Weingärtnerviertel, wurde erkundet.
Dazu schreibt die Organisatorin der Kulturtage, Gerlinde Kleemann:
Gut gelaunt trafen sich die Teilnehmer/-innen des 21. Kulturtages am Bahnhof in Herrenberg. Wir waren diesmal sehr wenige, aber durch unterwegs Zusteigende und auch noch in Esslingen Dazukommende wuchs die Anzahl der Interessierten auf fünfzehn Personen. Der gemütliche Gang durch Esslingens Bahnhofstraße, weiter über die Innere Brücke zum Palm`schen Bau ließ eine adventliche Atmosphäre in einer weihnachtlich geschmückten Stadt verspüren. Der Palm`sche Bau, Esslingens ältestes Gasthaus, von 1701, bot in seinen Inneren heimelige Gastlichkeit, dazu prompte Bedienung und gutes Essen.
Gestärkt und neugierig gingen wir zum Treffpunkt am Rande des Weihnachtsmarktes. Dort erwartete uns unser Stadtführer, der sich auch über unsere Gruppe informierte. Zügig folgten wir ihm in die Beutau, das ehemalige Wohnviertel der Weingärtner, aber auch anderer Handwerker, die sich dort im Mittelalter angesiedelt hatten. Leider wird dieses Viertel durch eine Betontrasse für den Straßenverkehr, der in den 1960er Jahren rücksichtslos alte Stadthäuser geopfert wurden, von der Stadt abgetrennt.
Zur Blüte des Mittelalters und noch später gab es dreizehn Pfleghöfe, also Wirtschaftsgebäude der Klöster, z.B. Salem, sowie 48 Keltern. Eine der Keltern war ursprünglich der Beginn der bis heute bestehenden Sektkellerei Kessler. Die Beutau hatte ursprünglich drei Gassen: die Obere Beutau oder Herrenbeutau, die Mittlere Beutau für Weingärtner und Handwerker sowie die Untere Beutau für das "niedrige Volk". Der Name Beutau stammt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet „ Schlagen“. Es gab damals auch eine Ölmühle, die den "geschlagenen"Raps verarbeitete.
Zu Beginn der Gassen Obere und Mittlere Beutau stand das Gasthaus „Rose“ (gibt es auch heute noch), in damaliger Zeit mit Stammtisch für die Herren der Oberen und Mittleren Beutau. Im 16. Jahrhundert wurden die ursprünglichen Fachwerkhäuser verputzt, um repräsentativer zu wirken. Ebenso zeigten sich die Standesunterschiede bzw. der Reichtum der Einwohner auch in der Größe der Häuser. So hatten die Häuser der Oberen Beutau nicht nur mehr als zwei Stockwerke, sondern waren auch breiter, die Hauseingänge größer. Reben am Haus weisen auf ein Wengerterhaus ( Kamerz) hin. Es gab unterirdische Leitungen vom Bach, die in die Stadt führten, aber es gab auch Brunnen, die sich aus Quellwasser speisten. Manche Häuser hatten im Keller einen Brunnen, was allerdings wegen immer mal auftretenden Keimen nicht ganz ungefährlich war.
In der Mittleren Beutau waren die Häuser schon kleiner, nur 2-stöckig.Das oberste Fensterchen war der Rauchabzug, die Bühne war gleichzeitig Scheune zur Lagerung der trockenen Sachen, wie z.B. Holz, Heu Getreide usw. Für den Transport gab es den "Lotter"unter dem Giebel der Häuser. Im Keller lagerte der Wein, d.h., die Weinfässer. Vorschriftsmäßige Kamine gibt es hier erst seit dem 19. Jahrhundert. Bis 1912 war die Mittlere Beutau eine Hauptstraße. Auch finden wir bis heute noch Rosenstöcke an vielen Häusern. Rosen wurden auch in den Weinbergen gepflanzt zur Trennung der "Realteilungshandtücher", denn bedingt durch die vorherrschende Erbteilung (jeder Berechtigte erbte) wurden die Weinbergstücke des Einzelnen im Lauf der Jahrzehnte immer kleiner, d.h., schmaler. Gleichzeitig waren Rosen die Mehltauanzeiger, da sie früher davon befallen wurden als die Rebstöcke. So konnten die Weingärtner meist noch Gegenmaßnahmen ergreifen. Auch durften die Weingärtner zu festgelegten Zeiten „Besen“ für den Verkauf ihrer Ware einrichten und so ihr Einkommen aufbessern.
Esslingen war eine mittelalterliche Festung, die sich gegen Feinde, in dem Fall gegen die Württemberger (Stuttgarter) schützen musste, denn diese wollten das alte Stauferreich wieder aufrichten. Zur Befestigung gehörten 28 Tore, über 50 Türme sowie sechs km Stadtmauer und ein tiefer Stadtgraben.
Am Ende der Beutau kamen wir zu einem jüdischen Friedhof aus den Jahren 1807 – 1874, der Platz für ca. 100 Gräber hatte. Dort ist noch ein Rest der Stadtmauer zu sehen. Ehe wir den Friedhof betraten, erhielten die Männer ohne Kopfbedeckung eine Leihkippa. Der heutige jüdische Friedhof liegt mitten auf dem Ebershalden Friedhof.
In der Unteren Beutau sind die Häuser noch kleiner und haben meist nur ein halbes Obergeschoss. Heute gibt es hier noch zwei selbstständige Weingärtner. Die Alte Kelter vom Weingut Kusterer war von der Stadt gekauft und restauriert worden. Außerdem gibt es das stattliche Gebäude des Pfleghofs von Salem. Da die Reichsstadt auch eine eigene Kirche haben wollte, hatte man die bestehende Kapelle abgerissen und die hochgotische Frauenkirche gebaut, sie aber aus politischen Gründen als Kapelle deklariert. Sie diente als Vorbild für das Ulmer Münster und hatte denselben Baumeister. Interessant ist, dass der Haupteingang, das Georgs-Portal, nicht, wie üblich, im Westen liegt.
Zum Abschluss unseres Rundgangs hatten wir noch einen guten Blick zur „Burg". Sie war nie ein Adelssitz, sondern eine Militäranlage zum Schutz gegen die Württemberger. Der Hochwart war der höchste Punkt, mit Glocken ausgestattet, die bei Gefahr geläutet wurden, z.B. auch bei Feuer. Der Hochwart war rund um die Uhr besetzt.
Damit endete unsere interessante Führung und wir konnten uns in den mittelalterlichen Weihnachtsmarkt stürzen oder uns gemütlich bei Kaffee und Süßem aufwärmen.