Zum Gottesdienst eingeladen waren die Gemeinden Tübingen, Tübingen-Pfrondorf, Ammerbuch-Pfäffingen und Rottenburg.
"Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes?"
(Chorbuch für den neuap. Gottesdienst Nr. 400, Text Röm 8, 35, 38, 39)
Diese Frage hatte zu Beginn des Gottesdienstes ein großer gemischter Chor unter Leitung von Markus Herr gestellt. "Wer?", griff Bischof Urs Heiniger sie auf. "Ich wünsche mir diese Entschiedenheit, auch dann, wenn der Tag mit Sorgen voll ist. Wir nicht verstehen, weshalb Gott nicht eingreift. Diese innere Klarheit. Seid ihr so gekommen, dass wir das in der Seele haben?" Wunsch und Wirklichkeit können im Alltag meilenweit voneinander entfernt sein. Dann kommt der Sonntag. Als die beste Möglichkeit, um abzuschließen mit Vergangenem und die Zukunft mit Freuden zu beginnen. Im Bewusstsein: Ja, wir sind überzeugt, Gott ist da. Und hat immer noch alles in seiner Hand. Da sind Zweifel, weil wir Erlebtes nicht einordnen können. Sein Licht kann Sicherheit für die Zukunft geben. Nach dem Gottesdienst wird uns alles wieder einholen? Trotzdem, immer wieder den Sonntag suchen und nutzen, um Gott alles Wenn und Aber als Opfer hinzulegen. Dann erleben wir neue Kraft.
"Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben" (Lk 7, 47, 48). Der Bischof erläuterte den Hintergrund des eingangs verlesenen Textworts. Jesus war bei einem nach damaligen Vorstellungen "weisen Mann", einem Pharisäer eingeladen. Dieser Simon verfügte über großes Wissen und wollte sich selbst ein Bild machen: Ist der wirklich Gottes Sohn? Um das für sich zu klären, hatte er Jesus in sein Haus gebeten. Offenbar waren auch noch andere interessierte Menschen gekommen. In diese Umgebung stieß eine Frau. Fast wie nebenher wusch sie Jesus` Füße und salbte sie. Eigentlich eine völlig unmögliche Situation. Wäre der Mann wirklich der Sohn Gottes, dann würde er das doch nicht zulassen. Da prallten zwei völlig verschiedene Welten aufeinander. So etwas soll es in Tübingen und Umgebung auch geben. Zumindest gegeben haben. Leicht schmunzelnd erwähnte Heiniger, was man sich so erzählt. Auch hier zwei Welten. Bedingt durch die Universität leben in Tübingen die Professoren und außerdem gibt es die ursprüngliche Landbevölkerung mit Weinanbau und Landwirtschaft. Die können einander gar nicht verstehen können. So wie damals die versammelte Gelehrsamkeit, und dann die Sünderin, die da wirklich nichts zu suchen hatte. Und auch noch Füße waschen - geht gar nicht.
Jesus nahm das Befremden wahr. Er brachte das Beispiel von zwei Schuldnern. Wer von beiden hat wohl mehr Anlass zur Freude, der, dem eine große Schuld erlassen wurde oder der, dessen Schuld gering war?
Wenn wir etwas nicht einordnen können, an wem bleiben wir dann "hängen" - an unserem Vorsteher, an den Glaubensgeschwistern. Dem "Bodenpersonal", wie der Bischof lächelnd formulierte. Und was da geschieht, das geht so gar nicht? Oder sind wir überzeugt, es ist Gott, der mir da begegnet. Mit unvollkommenen Worten, hinter denen der himmlische Vater steht. Er sieht in meine Seele und nimmt dazu den Nächsten als sein Werkzeug. Wer im Glauben "weiter" ist, dem muss nicht so viel vergeben werden? Letztlich muss jede Sünde vergeben werden. Nur in meiner Seele kann ich nachempfinden, was Gott für mich tut.
Simon damals wollte einen intellektuellen Austausch mit Jesus. Die Sünderin begegnete ihm auf einer ganz anderen Ebene. Zu ihr konnte Jesus sagen: Dein Glaube hat dir geholfen.
Glaube erschließt eine ganz andere Dimension, die mit dem Intellekt nicht zu fassen ist. Wie reagieren wir auf einen Gottesdienst, das Wirken Gottes durch einfache Menschen?
Lasst uns bewusst Erlösung erfahren. Altlasten machen es schwer, nach vorn zu blicken. Wann hast du das letzte Mal über deine Taufe nachgedacht? Das Versprechen, das deine Eltern für dich abgegeben haben und das du übernommen hast. Die Wassertaufe ermöglicht den Zugang zu Jesus. Gott schenkt uns ganz aktuell Gnade. "Was hast du daraus gemacht?", so fragt er nicht. "Komm, wie du bist. Gottes Gnade schränkt nicht ein."
Unsere Reaktion darauf? "Treue zu Jesus", so das Jahresmotto 2018 für neuapostolische Christen. Was bedeutet das? Habe ich im Alltag das Gefühl, Jesus geht mit mir? Gelegentlich könnte mir das zu eng werden ... Lasst uns in sein Wesen hineinwachsen. Verzichten wir auf Wege, die er nicht mitgehen würde. Die uns gewährte Gnade zeigt seine große Liebe. Die möge genauso "zünden" wie die unter zwei Menschen, die sich gern haben und sich geradezu magnetisch gegenseitig anziehen. Gruppendynamik zwingt mich, ich will kein Außenseiter sein? Auch wenn es nicht die allgemein herrschende Meinung ist, ich will in Jesus leben. Wie er den Nächsten lieben, vorbehaltlos. Ich kann es schaffen, auch wenn der "komisch" ist, mir nicht so liegt. "Gottes Liebe steckt an!"
"Eine spannende, interessante Geschichte aus alter Zeit", begann Bezirksvorsteher Klaus von Bank. Gerade durch verschiedenartige Menschen in einem offenen Haus entsteht Leben. Wie mag sich mancher fühlen, zu dessen beruflichen Pflichten es gehört, obrigkeitliche Rechte durchzusetzen. Ordnungshüter mit Verwarnungsgeldern, Finanzbeamte mit Steuerbescheiden, Lehrer mit schlechten Noten ... Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Die müssen viel aushalten, obgleich sie nur ihrer jeweiligen Ämter walten. Und sich damit höchst unbeliebt machen können. Von Bank erinnerte sich an jemanden, der es gewohnt war, viele solche negative Erlebnisse zu haben. Was ihn keineswegs kalt ließ. Er litt darunter. Dann folgte er der Einladung in eine neuapostolische Kirche und, o Wunder, es hieß "Herzlich willkommen!" Ehrlich gemeint, obgleich man auch dort von seiner beruflichen Tätigkeit wusste. Das Herz, die Liebe, das Empfinden hatten sich geregt und ihn und später auch seine Frau dazu bewegt, in dieser Kirche zu bleiben. Obgleich danach keineswegs ein problemloses irdisches Leben folgte. Das Gegenteil war der Fall. "Die Liebe ist entscheidend. Dass wir sie geben und dass wir sie erleben!"
"Jeder Sonntag ist für unsere Seele eine Möglichkeit, Wunderbares zu erfahren.", so Evangelist Carsten Dehner. Er verwies auf Apostel Paulus. Der gab den Rat, zu vergessen, was dahinten ist und darauf zu schauen, was kommen wird. Verzeihen und Liebe hängen ganz eng zusammen. Jesus konnte am Kreuz unter größtem Schmerz seinen Vater um Vergebung für seine Peiniger bitten. "Wem der König hat vergeben, dem vergibt der Bürger auch.", sagt ein Spruch. "Unsere Aufgabe ist, in der Liebe zu stehen und das sichtbar zu machen, indem wir anderen vergeben."
Vor der Feier des Heiligen Abendmahls betonte Heiniger: "Sündenvergebung erleben wir nur, wenn wir daran glauben." Er hob hervor: Jesus tritt dazu in den Mittelpunkt. Die Apostel haben von ihm die Vollmacht zur Sündenvergebung. Ich muss mich hinterfragen, wie mein Handeln im Verhältnis zu Jesus steht. Kann ich meinen Nächsten so annehmen wie er ist und mich wie Jesus ihm in großer Liebe zuwenden?
Ein Bischof im Ruhestand, Georg Kaltschmitt, hatte an diesem Sonntag Geburtstag. Was lag da näher, als dass "seine Tübinger" die Gelegenheit bekamen, ihm zu gratulieren. Das sagte der amtierende nach dem Gottesdienst. So kam es, dass zur Freude aller bei der Verabschiedung auf einmal zwei Bischöfe nebeneinander vor dem Altar standen.