Kann eine Fledermaus schnurren? Hört sie wohl auf ihren Namen? Versteht sie einfache Kommandos und führt sie die auch aus?
Außer vielen anderen sollten diese Fragen, die auf dem Einladungsschreiben des Nagolder Kids-Aktiv-Teams schon mal gestellt wurden, am Freitag nach dem Beginn der baden-württembergischen Sommerferien beantwortet werden. Viele Autos mit Kennzeichen TÜ und BB konnte man neben den einheimischen auf den Parkplätzen um die Nagolder Kirche herum stehen sehen, als es 9.30 Uhr geworden war. Zwei tolle Stunden mit den Fledermäusen von Ilona Bausenwein - eine Expertin auf diesem Gebiet aus Tübingen - waren auf dem Einladungsschreiben versprochen worden, und die wurden es auch.
Während in der Küche noch Snacks und anderes für einen kleinen Imbiss vorbereitet wurden, gab es in der Kirche und im Foyer andere Arbeiten: Aus dem Kirchensaal wurden von den Kindern Stühle ins luftige und lichte Foyer geräumt und in einem großen Kreis aufgestellt. 35 Kinder wurden erwartet, und die, mindestens, trafen auch nach und nach ein. Nebst Müttern und Großeltern, die notwendige Fahrdienste leisteten und zur Belohnung, im Hintergrund sitzend oder stehend, die Chance bekamen, ihre Bildungslücken in Sachen Fledermäuse wenigstens etwas zu füllen.
Frau Bausenwein hatte ihre Mitreisenden, in luftige Schächtelchen verpackt, nebst Zubehör wie Futter, Reiseapotheke und Abfalleimer - auch eine Fledermaus muss ihre Nahrung verdauen und das Ergebnis wieder entsorgt bekommen - mitgebracht und auf einem Tisch ausgebreitet. Nebst Fotos von Flughunden und -füchsen, den großen Geschwistern der europäischen kleinen Verwandten. In Asien und Australien leben die, die Drakula mäßige Ausmaße erreichen.
Zu erfahren war so Vieles, dass es hier nur zum Teil wiedergegeben werden kann. Die wissenschaftlichen Abhandlungen über diese besondere Spezies der göttlichen Schöpfung sind schon an anderer Stelle, Bibliotheken, Internet, von viel kompetenteren Leuten als dem Chronisten verfasst, zu finden. Also gibt es hier nur ein paar Impressionen vom Vormittag in Nagold ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Frau Bausenwein lebt seit 35 Jahren in ihrer ganz normalen Etagenwohnung in einer Art Fledermausklinik mit "ihren" Tieren zusammen. Es sind verletzte und anderweitig gehandicapte, um die sie sich kümmert. Gesunde Tiere sind nicht zimmergeeignet. Wenn sie es wollen und können haben die wiederhergestellten Patienten die Möglichkeit, in die freie Wildbahn zu entschwinden. Man muss sie nicht wieder dorthin bringen, wo man sie gefunden hat. Sie finden über große Strecken, z. B. bis an den Bodensee, allein zurück. Manche beschränken sich nach der Genesung aber nur auf kurze Ausflüge und/oder bleiben freiwillig oder wegen eines unheilbaren Handycaps für immer in Frau Bausenweins Wohnung. Fliegen dort herum wie sie es mögen. Die Hausherrin hat sich daran gewöhnt, wenn sie nachts noch mal dringend aus dem Bett muss, um sich an einen anderen Ort zu begeben, dies auf allen Vieren zu tun, denn der Luftraum ist dann an die Mitbewohner vergeben. Gesunde Tiere legen bis zu 200 km in der Nacht an Flugstrecke zurück.
Nach und nach wurden die Protagonisten des Vormittags aus ihren Schachteln genommen und vorgestellt: Madame Näschen, Vampirelle, die Schreckliche, Arthur, das Düsenflugzeug und noch zwei Kollegen.
Fledermäuse stehen unter Naturschutz. Wegen des Klimawandels ist ihr Bestand schon um 80 % gemindert. Obgleich sie harmlose Vegetarier sind, sehen manche von ihnen, gemeint sind die nichteuropäischen, erschreckend aus. Große Kehlköpfe sind kein Indiz dafür, dass sie alles vertilgen. Vielmehr können diese Exemplare damit sehr laute Gesänge anstimmen. Fledermäuse sind ihr Leben lang fruchtbar. Die älteren Weibchen sind von den Männchen besonders begehrt: Sie haben die notwendige Erfahrung mit der Aufzucht der Jungen und garantieren besser den Fortbestand der Art.
Madame Näschen, ein sogenanntes Mausohr, die größte Art, die es in unseren Breiten gibt, ist die Chefin im Haushalt von Frau Bausenwein. Der seit 35 Jahren spinnenfrei ist. Dafür sorgen die Mitbewohner. Fledermäuse sind auch gute Zuhörer. Sie nehmen zunächst den Geruch des Menschen auf. Ist der in Ordnung, darf er zu ihnen wie ein Wasserfall reden, aber nicht flüstern. Sonst wird er gebissen. Die Beißkraft reicht aus, einen Chitinpanzer zu knacken. Wichtig für die Nahrungsaufnahme. Ausgeklappte Flügel sind überproportional groß im Verhältnis zum Körper. Daran befinden sich "Finger", kleine Spitzen zum Festhalten von Nahrung. Zum Glück lassen sich die Flügel einklappen, denn sonst würden die Tiere beim Losrennen stolpern. Die einzelnen Fledermäuse wurden von Frau Bausenwein von einem Kind zum anderen und auch zu den Erwachsenen, die gelegentlich da zurückhaltender waren als die Jüngeren, auf ihrer Hand herumgereicht. Wer wollte, durfte die Tiere streicheln, denn das mögen sie sehr.
Sie haben ein überdimensioniertes Herz, sonst könnten sie ihre physischen Leistungen nicht erbringen, und "Nebenherzen" in den Flügeln, sonst wäre deren Durchblutung nicht möglich. Der Tagesablauf: Sechs - bis acht Stunden sich putzen, unterbrochen vom Mittagsschlaf (12 - 14 Uhr). Nur so ist man für den abendlichen Ausflug ausreichend gestylt. Scharfe Krallen ersetzen Kamm und Bürste. Fettdrüsen auf der Nase produzieren Pomade. So gelingt die Fellpflege.
Vampirelle, die Schreckliche, ist kamerascheu und nur ein Viertel so groß wie das Mausohr (letzteres schon nicht mehr als maximal eine sehr kleine Handinnenfläche bedeckend). Kleine Ursache, große Wirkung: Drei- bis 6.000 Stechmücken kann eine Fledermaus, nur ums Haus herumstreichend, jede Nacht verzehren. Die lebende Nahrung wird in der Schwanzflughaut verstaut und kann dann bequem zum Verzehr daraus entnommen werden. Nachts orientieren sich Fledermäuse per Echolot. Sie können aber durchaus hell und dunkel mit den Augen unterscheiden. Ihre Feinde - der Straßenverkehr, Waschbär, Eule, Marder und Katze! Frau Bausewein erzählte von einer, in deren gesamtem Revier keine einzige Fledermaus mehr zu finden gewesen war. Die Menge muss es halt machen, sonst wird eine Katze nicht satt davon. Embryos erreichen 1/3 des Körpergewichts der Mutter. Gut vorstellbar, dass Zwillinge, was vorkommt, höchst problematisch werden.
Arthur, das Düsenflugzeug, ein Abendsegler, wurde danach persönlich vorgestellt. Mit 80 km/h 200 km am Stück fliegen, für ihn kein Problem. In der Paarungszeit, die jetzt gerade aktuell ist für ihn, "stinkt er wie die Hölle" (O-Ton Bausenwein). Von Kindern lässt er sich streicheln, was vor Ort getestet wurde. Wenn sie sich unterwegs sicher fühlen, mischen sich diese Fledermäuse auch unter Mauersegler. Sie sind Sonnenfanatiker und können ihre Augen mit den Ohren beschatten, damit sie das gut aushalten können. Zum Fressen -Mehlwürmer, ausschließlich. Na ja, Nutella geht auch, wurde von der Herbergswirtin ergänzt. Schmatzen, schnarchen und das in ziemlicher Lautstärke erfordern Toleranz beim Zusammenleben mit den Tierchen. Arthur ist mit Vorsicht zu genießen: Er kann ohne weiteres einen Piercing-Service aufmachen.
Man hätte es nicht für möglich gehalten. An einem Ferientag nahmen die Kinder freiwillig, interessiert, konzentriert und mucksmäuschenstill, wenn sie nicht gerade befragt wurden, am "Unterricht" teil. Scheint auch heutzutage noch möglich zu sein. Vermutlich wäre mancher Lehrer neidisch geworden. Dass es nach mehr als einer Stunde dann doch etwas unruhiger im Publikum wurde, auch normal: Die Pause zwischendurch war überfällig.
Der Chronist beendete an dieser Stelle sein Bildungserlebnis und fuhr schon mal nach Haus, um seinen Bericht zu schreiben. Herzlichen Dank an Frau Bausenwein und das Nagolder Kids-aktiv-Team. Eine wunderbare Idee und eine gelungene Durchführung. Weiter eine so gute Nachbarschaft wünschen sich die Tübinger von den Gastgebern.
Die eingangs gestellten Fragen danach, was Fledermäuse so alles können - alle eindeutig zu bejahen. Jedenfalls gilt es für Frau Bausenweins Fledermäuse.